Normalerweise gibt es in indischen Hotels kein Frühstück, und wenn ich so sehe, was die Einheimischen alles in sich hineinstopfen, ist es wohl auch besser so. Ich werde zu einem kleinen, eher dunklen Raum geleitet, zahlreiche schattenhafte Gesalten sitzen an ihren Tischen, und ausser heftigem Schmatzen ist nichts zu hören.
Nun gut, solange ich nicht Reis und Fleisch und scharfe Zutaten essen muss, ist mir alles recht. Eine safrangelbe Masse sticht mir ins Auge, die gut aussieht und erst noch süss schmeckt. Und bei Gott, sie ist wirklich so süss, dass die Plomben in meinem Mund Walzer tanzen. Aber die Bedienung ist nett (und erwartet ein Trinkgeld).
Von Leben strotzend
Wie in Mysore vor drei Jahren erfüllt mich schon auf den ersten Metern ein gutes Gefühl. Wieder eine dieser verrückten, von Leben strotzenden indischen Städte. Es ist laut und hektisch, es riecht nach allerhand Seltsamem, dessen Ursprung ich lieber nicht wissen möchte.
Vor mir drängen sich Menschen, Tiere, Radfahrer, TukTuks und eine Million Autos durch die Gassen und Strassen, durch die ich mich gemächlich dem Tempelbezirk nähere. Es ist ratsam, sämtliche Sinne auf voller Leistung laufen zu lassen, die Gefahr, über den Haufen gefahren zu werden, ist gross.
Madurai – eine der ältesten Städte Indiens
Madurai ist eine Stadt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Die Stadt, eine der ältesten Südasiens, liegt im Südwesten Tamil Nadus am Ufer des Flusses Vaigai und zählt heute etwa 1 Million Einwohner. Sie ist eine der ältesten Städte Südindiens und kann auf eine über zweitausendjährige Geschichte zurückblicken.
Ein neues Hemd
Die Warnung im Führer bekommt Recht: alle paar Meter will mir ein Schneider seine Produkte und Künste andrehen, und es ist kaum zu glauben (entweder fühle ich mich heute besonders gut und grosszügig, oder ich habe einfach die Schnauze voll vom Nein-Sagen), aber ich bestelle tatsächlich ein Hemd für 450 Rupien. Es ist mir klar, dass ich einen Wucherpreis bezahle, aber manchmal muss man nachgeben. Mal sehen, was da raus kommt.
Der Schneider, ein kleiner giftiger Herr in den besten Jahren, der kein einziges Mal seinen kleinen verkniffenen Mund verzieht, ist mir auf den ersten Blick unsympathisch. Aber wir wollen nicht voreilig sein und lassen ihn mal machen.
Aussicht auf die Tempel vom Dach aus
Ein anderer Herr, der ganz zufällig das Prozedere mitbekommen hat, begleitet mich ebenso zufällig zum Tempel, wo er ganz zufällig einen Ort kennt, von dessen Dach aus man eine wunderbare Sicht auf die Tempel hat. Später stellt sich heraus, dass diese eine neue Masche ist, potentielle Opfer in den Laden zu schleusen, wo es auf dem Dach zwar tatsächlich gute Aussichten zu bewundern gibt, aber man in erster Linie gefälligst etwas kaufen soll.
Teppiche aus Kaschmir
Der Weg aufs Dach ist mit Verlockungen gepflastert (so wie der Weg zum ewigen Leben im Himmel, so sagt man). Ich werde durch allerhand Ladenlokale geschleust und immer mit überströmender Freundlichkeit begrüsst. Doch einzig der Laden eines Kashmiri knapp unter dem Dach ist wirklich eine Pause wert. Das Gespräch mit ihm (er stammt übrigens aus Ladakh, es könnte also gut sein, dass hier der Samen für meine spätere Reise dorthin gepflanzt wurde) ist sehr aufschlussreich.
Während er mir alles über die Teppichknüpfer und die Vorzüge von deren kunstvoller Arbeit erzählt, kann ich nicht umhin, ihm von meiner Reise in den Kashmir vor knapp hundert Jahren zu erzählen. Es muss für ihn wie eine Geschichte aus längst vergangener Zeit klingen, als es zwar bereits Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan gab, aber niemals in der Weise wie heute.
Nun, wie meistens bin ich ein schlechtes Opfer (wie zum Henker soll ich einen Kashmirteppich mit mir nach Hause nehmen?), bedanke mich zwar artig für die Führung aufs Dach, nehme auch gerne den Longyi an, den ich zwecks Betreten der Tempelanlage zwingend über meine nackten Knie tragen muss, und gehe von dannen.
Das kleine Mädchen
Ein kleines lächelndes Mädchen erklärt mir in ihrem wunderbaren südindischen Englisch das Eintritts-Prozedere und erhält im Gegenzug ein ebenso freundliches Lächeln meinerseits plus das unumgängliche Trinkgeld.
Die Tempel von Madurai
Man kann sich kaum sattsehen daran. Ich betrete die Anlage durch den Nordeingang, wo man beinahe wie am Flughafen kontrolliert wird und streng blickende Soldaten mit Gewehr die Eintretenden mustern.
Die Tempelanlage ist schlicht atemberaubend. Es ist eine räumlich sehr grosse, in sich geschlossene Anlage, die von 4 Himmelsrichtungen her betreten werden kann. Jeder Eingang wird durch einen der wahrhaft umwerfenden Türme bewacht. Sie sind vielleicht 50 bis 80 Meter hoch und bedeckt mit Hunderten, wenn nicht Tausenden von farbigen Figuren, Himmelswesen, Geistern, Kobolden, Göttern und Göttinnen, Tier- und Fabelwesen.
Hauptsehenswürdigkeit Madurais ist der Minakshi-Tempel, dessen hoch aufragende Gopurams (Tortürme) weithin sichtbar das Stadtbild Madurais dominieren. Der im Wesentlichen während der Nayak-Zeit im 15. bis 17. Jahrhundert erbaute Tempel ist ein herausragendes Beispiel für die dravidische Tempelarchitektur.
Es ist nicht einfach, sich in dem Gewirr von einzelnen, zum Teil sehr düsteren Hallen und Gewölben zu orientieren und so lasse ich mich einfach treiben, vorbei an zahlreichen indischen Pilgern, an Touristen und kichernden Kindern, an Sadhus und Gurus und andern Heiligen.
Es stinkt nach Kommerz, wirkt aber trotzdem nie peinlich wie andernorts. Ich bewundere die Malereien an den Decken und Wänden, schreite die unendlich langen Gänge entlang. Müde gewordem ob all der Pracht, setze ich mich auf die Treppenstufen beim Innenhof und schalte alles ab, was der Kontemplation nicht zugänglich ist.
Elefant in der Dunkelheit
In einer der düstersten Hallen stehe ich verwundert einem Elefanten gegenüber, dem die Gläubigen Geld hinstrecken, das er mit seinem Rüssel entgegennimmt, an seine Bewacher weiterreicht und den gesenkten Kopf des Gebers mit einem kurzen Schlag des Rüssels segnet.
Meine Beschützerinstinkte erwachen und ich frage einen der Begleiter, ob das Tier auch mal nach draussen gehen darf. Wahrscheinlich versteht er meine Frage nicht, denn er verneint mit heftigem Kopfnicken, was bei mir einen kurzen Anflug von Depression hervorruft (wie sich später herausstellt, völlig zu Unrecht; das arme Tier darf sehr wohl den Tempel verlassen und wird fachmännisch und liebevoll gewaschen, gepflegt und gefüttert).
Das ameisenartige Gewirr von Leibern und Existenzen
Letztlich beschränke ich mich auf meinen Rundgängen in Madurai auf den inneren Bezirk und die Strassen in seinem Einflussgebiet. So lerne ich in den ruhelosen, hektischen Gassen das tägliche indische Leben kennen, der ständige Kampf ums Überleben, das ameisenartige Gewirr von Leibern und Existenzen.
Eine dieser Existenzen, mein Schneider, übergibt mir am Nachmittag das fertige Hemd, und sagen wir’s ruhig, es ist eine ziemliche Katastrophe. Eine weitere Lehre. Bis zum nächsten Mal.
PS Song zum Thema: Prince – Thieves in the Temple
Und hier geht’s weiter …