Es gibt nichts Öderes auf einer Wanderung, wenn es schon am Morgen früh aus allen Rohren pisst, und es gibt nichts Schöneres, als zuhause in der warmen Stube zu sitzen, wenn der Regen an die Fensterscheiben klatscht.

Nun, heute morgen trifft ersteres zu – es regnet in Strömen. Der Himmel zeigt sein unangenehmes Gesicht, grau wie ein alter Mann.

Bad start for today's stage

Das erinnert mich doch gleich an ein grossartiges Lied der immer noch grossartigen Beatles, die es wieder einmal auf den Punkt gebracht haben. Der Song heisst, nicht überraschend, RAIN.

If the rain comes
They run and hide their heads
They might as well be dead
If the rain comes
If the rain comes

When the sun shines
They slip into the shade
(When the sun shines down)
And sip their lemonade
(When the sun shines down)
When the sun shines
When the sun shines

Natürlich gibt es jede Menge weiterer wunderbarer Regenlieder. Hier ein paar Beispiele.

Bruce Ruffin – Rain

The Cult – Rain

Ann Peebles – I can’t stand the rain

Guns ’n‘ Roses – November Rain

Creedence Clearwater Revival – Who’ll stop the Rain

Der letzte Song trifft ins Schwarze. Wer zum Teufel stoppt diesen Regen, der in dichten Schleiern vor meinem Fenster niederprasselt?

Der Regengott erhört mein Flehen

Irgendwas in meiner inneren Uhr scheint defekt zu sein. Auf jeden Fall stehe ich mit müdem Kopf und ebensolchen Beinen Punkt acht auf, obwohl doch die Uhr erst sieben anzeigt. Ich habe also eine ganze Stunde Zeit (das Frühstück ist erst um acht bereit), mich über das blöde Wetter zu ärgern.

Kann es sein, dass ich bereits am zweiten Tag in voller Regenmontur losmarschieren muss? Nicht, dass es mich beunruhigt, ich habe auf der letztjährigen Wanderung eine ganze Anzahl schlimmster Regentage erlebt und überstanden. Aber eben … Keine Ahnung, ob der Wettergott meine Bitten erhört hat, auf jeden Fall hört der Regen Punkt neun auf. Ich stehe also da mit meinem Rucksack und wundere mich.

Der Weg führt heute den ganzen Tag dem Doubs entlang bis zu einem kleinen Dorf namens Soubey.

Und wie immer die launigen Worte des Guides zur heutigen Etappe:

Der Doubs ist ein launisches, faszinierendes Gewässer. Auf dem linksufrigen Abschnitt zwischen St-Ursanne und La Charbonnière wandert man fast immer auf Naturpfaden in unmittelbarer Nähe des blaugrün schimmernden Flusses. Am Ufer leben zahlreiche Libellen und Vögel.

Keine grosse Sache.

Trans Swiss Trail stage 2

Das Rauschen des Wassers

Auf jeden Fall gibt es heute keine schweisstreibenden Aufstiege zu bewältigen. Wenn ich der Karte glauben soll, führt der Weg ausschliesslich dem Fluss entlang, manchmal ein bisschen aufwärts, aber wirklich nur ein bisschen.

Finde ich gut, genau richtig für den zweiten Tag, der immer etwas ein Pièce de Resistance darstellt.

Und tatsächlich, der Weg ist grossartig (ein Adjektiv, das ich wohl noch viele Male benutzen werde). Aber zunächst gilt es, sich von der Stadt zu verabschieden. Der Aufenthalt war kurz, aber eindrücklich, ein Versprechen, irgendwann mit mehr Zeit zurückzukehren.

Der Dorfheilige verabschiedet mich auf der Brücke über den Doubs, ich hoffe, dass er mir für die nächsten Woche alles Gute wünscht. Das Dorf bleibt hinter mir zurück, bye bye.

The Doubs at St. Ursanne

Die Geräusche der Zivilisation verstummen schliesslich ganz, alles was bleibt, ist das monotone Rauschen des Flusses. Manchmal ein entfernter Ruf eines Vogels, das Krächzen eines Raben. Und das gleichmässige Aufsetzen der Füsse auf den klatschnassen Boden.

Der Fluss mäandriert ruhig zwischen den Ufern, wird manchmal zu einem stillen kleinen See unter einem violetten Himmel. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde, glaubte ich an ein koloriertes Bild eines übergeschnappten Künstlers.

The river below a violet sky

Madame Waldgeist begrüsst mich

Irgendwann, nicht lange nach dem Start, werde ich von einem freundlichen Mädchengesicht begrüsst. Sein Gesicht lächelt, wenn auch verschmitzt, oder ist es am Ende spöttisch? Blickt es jedem Wanderer tief ins Auge, bevor es ihm die Erlaubnis gibt, weiterzugehen?

Welcome face to the forest

Die Wege zeugen vom nächtlichen Regenüberfall. Manchmal muss man sich die trockenen Stellen suchen, um ohne nasse Füsse durchzukommen.

Aber einmal mehr – mir gefallen diese Tage, wenn die Bäume noch lange nach dem Regen tropfen, wenn die Luft schwer ist von der Feuchtigkeit, wenn das Boden unter den Füssen schmatzende Geräusche von sich gibt.

Wet and wetter

Wieder einmal scheine ich die einzige lebende Seele weit und breit zu sein. Alle paar Minuten bleibe ich stehen und lausche. Es ist mucksmäuschenstill, sogar das Raunen des Flusses ist verstummt.

Manchmal hege ich den Verdacht, dass es genau diese Moment sind, die das Allein-Wandern so kostbar machen. Habe ich nicht von der Balance erzählt, die mir auf dem Alpenpanoramaweg begegnet ist?

Natürlich, ich erinnere mich. Es ist nicht nur ein Gefühl, es ist vielmehr eine Art Traum, eine Trance, ein Zustand ohne Zweifel.

Man muss ihn erleben, ganz langsam und zärtlich, bis er vergeht und Platz macht für die täglichen Mühsale.

Doch dann wird man in die Realität zurückgerufen.

Beim Anblick eines sterbenden Schmetterling, der sich auf dem steinigen Boden zur letzten Ruhe gesetzt hat.

A dying buttefly

Einfach nur schön

Es ist eine Wohltat, den flachen Wegen entlang zu gehen, ohne Hast, ganz langsam und aufmerksam, die Sinne offen für alles, das Viele, das trotz der Stille ringsherum geschieht.

Manchmal begegnet man einem Zeichen der Zivilisation, einem Stall, einer Maschine, weit weg Strommasten, doch niemand ist da.

Man könnte ewig so weitergehen.

Long long path

Und dann dringt man wieder ins Unterholz ein, in den Wald, doch das Grün ist nicht von dieser Welt, es spiegelt die Gegend durch eine grüne Linse, die jemand verstellt haben muss.

Le Doubs Le Doubs ... and flowers wet path again all is wet and wetter

Die Fähre

Nach einiger Zeit erkennt man auf der anderen Flussseite den Campingplatz mit dem dazugehörigen Restaurant de Tariche. Hier könnte aus eigener Kraft der Doubs mittels Seilwinde und Barke überqueren.

Allerdings würde ich einen richtigen Fährmann vorziehen, der mich zwar nicht in die Unterwelt, aber zumindest auf die andere Seite bringen könnte. Denn so wie’s aussieht, funktioniert die Seilwinde nur in einer Richtung, sie ist auf meiner Seite ausgehängt bzw. gerissen, was die Rückfahrt doch etwas kompliziert werden lässt.

Ich lasse es lieber sein und bereite mir am Flussufer mein Mittagessen zu, wie gewohnt ein eher spartanisches Mahl.

Soll ich erwähnen, dass mich jede Fähre an einen Roman erinnert, der in einer Schublade schlummert und auf eine Auferstehung hofft? Ich lasse es lieber bleiben ….

Ferry across the river

Aber dann nähert sich das Ziel Soubey, ein paar weisse Kühe werfen mir zum Abschied gelangweilte Blicke zu. Ich kann sie verstehen. Das Leben hier verschafft nicht viel Abwechslung, und auch die Schönheit der Gegend nutzt sich (zumindest für Kühe) irgendwann ab.

White cows - bored cows

Kurz darauf erreiche ich Soubey, das heutige Tagesziel, melde mich beim einzigen Hotel vor Ort, dem Hotel du Cerf (Hirsch), werde vom Patron ziemlich unwirsch empfangen, offenbar habe ich ihn bei einer wichtigen Sache unterbrochen. „WLan? Wifi“

„Pas du tout!“, antwortet er mir kurz angebunden und führt mich in ein kleines herziges Zimmerchen, in dem ich mich sehr wohl fühlen werde.

Erst am nächsten Tag in Saignelegier werde ich verwundert herausfinden, dass die Ausdrücke WLan oder Wifi auf englisch ausgesprochen unbekannt sind. WIFI muss eben nicht auf englisch sondern auf französisch ausgesprochen werden. WIFI. Voilà!

Soubey - today's destination

 

Passender Song: Etta James – Wet Match

Und hier geht der Trip weiter … nach Saignelegier, wo die schönen Pferde hausen

 

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