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Burma

Die Gokteik-Brücke – Über dem Abgrund

Die letzte Nacht war ziemlich schlecht.

Wo soll ich anfangen? Bei der saumässigen Kälte im Zimmer? Bei den Hunden? Ich liebe sie ja, aber in dieser Nacht hätte ich jeden einzelnen erwürgen können. Warum sie ausgerechnet vor meinem Zimmer ein mehrstündiges Rendezvous abhalten und es dabei offenbar darum geht, den lautesten Schreihals, Beller und Heuler herauszufinden, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.

 

Saumässig kalt

Und es ist kalt, saumässig kalt. Die Dicke der Decke auf meinem Bett entspricht in etwa der eines Leichenhemdes (ich habe zwar noch nie eines gesehen, aber es klingt so gut), und dass es irgendwo im Raum eine zusätzliche Wolldecke geben könnte, kommt mir dummerweise erst morgens um Vier in den Sinn. Tja, man lernt viel über sich selbst.

Auch der Weckruf um Punkt Fünf darf nicht unerwähnt bleiben. Also, irgendetwas schauderhaft Klingendes, was mit etwas gutem Willen als Chor erkannt werden könnte, reisst mich wie gesagt um Punkt Fünf aus dem Schlaf. Was ist es? Ein Alienangriff? The Attack of the Clones? Sind Zombies aus ihren Gräbern gestiegen?

Ich weiss, wie ein Muezzin klingt, auf jeden Fall nicht so. Nach ein paar Minuten ist der Spuk vorbei (könnte es trotzdem die burmesische Variante eines oder mehrerer Muezzins gewesen sein?) Tatsache ist, dass ich hellwach bin und mit einiger Verbitterung dem neuen Tag entgegenblicke.

 

Pferdekutsche

Aber der Tag wird gut, das ist mal sicher. Eine Pferdekutsche bringt mich an den Bahnhof.

Bye-bye Pyin U Lwin
Bye-bye Pyin U Lwin

Dort hat sich bereits eine Hundertschaft von Leuten versammelt und klar – Tickets für die bevorzugte linke Seite im Zug, von wo aus man den berühmten Gokteik-Viadukt besser sehen kann, sind natürlich längst ausgebucht. Ich freunde mich mit einem älteren Herrn an, der ebenfalls allein reist. Ein Amerikaner, mit dem ich mich auf Anhieb glänzend verstehe.

 

waiting for departure
Warten auf die Abfahrt

Der Zug fährt ab

Was soll’s, auf jeden Fall ruckelt das Ding, das sich Zug nennt, pünktlich los, 6 lange Stunden für grade mal knapp 100 Kilometer vor uns.

 

train route
Die ganze Strecke von Mandaly nach Lashio
train to Hsipaw
Nicht gerade ein TGV

Tortur im Zug?

In jedem Führer steht, dass Zugfahren in Burma eine Tortur ist. Was könnte der Grund sein? Schlechte Sitze? Sind ganz in Ordnung. Hitze? Erträglich. Überfüllte Abteile? Überhaupt nicht. Der wahre Grund ergibt sich erst ein paar Kilometer nach Pyin U Lwin.

Die einzelnen Wagen fangen nämlich an zu schwanken, nach links, nach rechts, nach oben, nach unten, immer schön entgegen der Bewegung des Wagens vor uns. Bewegt dieser sich nach rechts, bewegt sich unserer  nach links. undsoweiter Also für magenempfindliche Leute ist das nichts, denn logischerweise wird der Inhalt des Wagens – also wir – in jeder der grad angesagten Richtung mitgezogen, mitgerissen, mitgeworfen. Reine Physik natürlich, was es aber nicht angenehmer macht. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit daran, ein Nickerchen, um den verpassten Schlaf nachzuholen, liegt aber definitiv nicht drin.

Ausser man ist tot.

 

passengers
Gemischte Geselllschaft

Schon eine halbe Stunde, bevor der berühmte Viadukt auftaucht, versammelt sich Gott und die Welt an den Fenstern, um ja nichts zu verpassen. Mein Wagen – Upper Class Donnerwetter – ist ausschliesslich mit Touristen besetzt. Franzosen, Engländer, Amis, Schweizer, Deutsche, the usual Suspects halt.

 

view from the train
Langsam und gemütlich durch eine wunderbare Landschaft

Lebensversicherung

Das Ticket für die rund sechsstündige Fahrt kostete umgerechnet knapp 3 Franken. Das ist aber nicht das wirklich Schöne daran. Im Fahrpreis eingeschlossen (und auf dem Ticket erwähnt) ist eine Lebensversicherung. Eine LEBENSVERSICHERUNG! Und jetzt kommt’s. Sie kostet grade mal 0.87 Kyats. 1 Kyat entspricht ziemlich genau einem Tausendstel eines Frankens, also wenn ich richtig rechne 0.00087 Franken. Was zum Henker ist da versichert? Eines meiner letzten Haare? Das ist Burma, liebe Leute, Burma pur.

 

Life Insurance
Lebensversicherung

Zwischenhalt in Naung Hkio

Irgendwo in den Pampas, genannt Naung Hkio, ein Halt. Zeit, um sich in der brennenden Sonne die Beine zu vertreten und die Lokomotive zu bewundern.

 

Naung Hkio
Naung Hkio – irgendwo
train station in Naung Hkio
Bahnhof in Naung Hkio
Diesellokomotive
Eindrucksvolle Diesellokomotive

Die berühmteste Eisenbahnbrücke Burmas

Beim Gokteik-Viadukt handelt es sich um die berühmteste Eisenbahnbrücke Burmas, die im Auftrag der Briten ab 1899 von den Amerikanern gebaut wurde.

Er ist fast 800 Meter lang und 111 Meter hoch. Er wird – Gott sei’s gedankt – nur im Schritttempo befahren, was den klickenden und surrenden Foto- und Videoamateuren im Zug die Gelegenheit gibt, ihre Künste anzubringen. Ich bin ebenfalls beeindruckt, was die Schönheit der Landschaft angeht, ist der Landwasserviadukt allerdings schon noch eine Option … Aber lassen wir das.

 

Gokteik-Bridge
Schon von weitem eindrucksvoll
Gokteik Viaduct
Zerbrechlich und gleichzeitig stabil (?)
high above the abyss
Hunderte Meter über dem Abgrund

Hsipaw

Und dann sind wir da, etwas müde von der Hitze. Hsipaw ist ein nettes kleines Städtchen, das sich zu einem Traveller-Hotspot entwickelt hat. Und nun sind sie plötzlich da, die jungen Travellers, die Backpackers, und nun klingen die Hi there, die How’re you von allen Seiten. Schön. Hier lässt es sich leben.

Am Abend ein kühles Bier am Ufer des Flusses. So lassen sich die Strapazen des Tages vergessen …

 

Hsipaw
Abenddämmerung am Fluss

PS Song zum Thema: The Eagles – Seven Bridges Road

Und hier geht die Reise weiter …

Burma

Pyin U Lwin – Fluchtort für bleiche Gesichter

Die Fahrt von Mandalay nach Pyin U Lwin mit dem Sammeltaxi, offiziell auf anderthalb Stunden geschätzt, dauert etwas länger, genauer gesagt mehr als doppelt so lange.

 

From Mandalay to Pyin U Lwin
Von Mandalay nach Pyin U Lwin

 

Fahrt nach Pyin U Lwin

Das hat seinen Grund. Erstens: der Chauffeur muss die restlichen Passagiere in der ganzen Stadt zusammensuchen.

Dann, als wir uns endlich auf der eigentlichen Strecke befinden (in der Zwischenzeit ist mehr als eine Stunde verstrichen), gibt es a) einen Pinkelstopp, bei dem der Chauffeur (was für ein Saftsack!) doch tatsächlich einen Passagier vergisst (dank meinem lautstarken Einsatz musste der arme Kerl nicht zu Fuss gehen), dann b) einen Wassernachfüllstopp, c) einen Benzinauffüllstopp und schliesslich d) einen Halt für alle, bei dem ich erstaunlicherweise einen wirklich guten Kaffee serviert bekomme.

Das Leben ist seltsam und überraschend.

 

Wahlen

Auf dem ganzen Weg begegnen uns wild gestikulierende Leute auf allerlei Vehikeln, die mit Lautsprechern ausgerüstet, politische Parolen in die Welt hinausposaunen. Klar, am Wochenende sind Wahlen.

Demokratische Wahlen? That’s a joke, man! Ich komme darauf zurück.

 

Lastwagen

Nun, auf jeden Fall geht’s bergauf, Kehren wie auf der Tremola, gelegentlich von riesigen chinesischen Lastwagen blockiert. Sie sind bis unters Dach mit Burmas Kostbarkeiten beladen, vor allem Teakholz, gewildert oder legal gekauft. Meistens wohl eher das erstere, auf jeden Fall auf dem Weg nach China, von wo sie dann mit billigstem chinesischem Plastikgerümpel zurückkehren, Ware, die sie nur noch in armen Ländern wie Burma absetzen können.

 

Was für ein seltsamer Name

Ich kann mir den blöden Namen dieses Ortes einfach nicht merken. Dabei bin ich jetzt hier gelandet, in Pyin U Lwyn, einem Städtchen mit 80000 Einwohnern mitten in den Bergen auf gut 1100 Metern. Es ist später Nachmittag, und durchs Fenster dringt eine angenehme Frische, Nicht erstaunlich, dass die Briten sich in den heissen Sommermonaten hierher zurückzogen, um ihre bleichen Gesichter nicht den Angriffen der Sonne auszusetzen.

 

Main road in Pyin U Lwin
Wo ist das Trottoir geblieben?

famous Church tower in Pyin U Lwin
Der berühmte Kirchturm in Pyin U Lwin

Temple in Pyin U Lwin
Und der unverzichtbare Tempel

 

Hotel Bravo

Das Hotel Bravo, offenbar eine Erstklass-Adresse für Travellers, ist gelinde gesagt, nicht gerade 5-Stern-prächtig. Da es aber bei dieser einen Nacht bleiben wird, werde ich es überleben. Genau ein Licht brennt und in dessen knapp 40 Watt versuche ich, auf der Tastatur auf dem iPad die richtigen Buchstaben zu finden. Geht aber ganz leidlich. Im Hintergrund hebt Eric Clapton eben zu einem seiner himmelsstürmenden Soli an, also ist alles in bester Ordnung.

 

Ein Nachmittag zum Vergessen

Es fängt an mit einem nicht ganz unerwarteten Zusammenstoss zwischen einem (unschuldigen) Mopedfahrer und einem arroganten (schuldigen) Schnösel am Steuer seines teuren Autos. Versicherung? Fehlanzeige. Schuldeingeständnis? Lachhaft. Also macht sich der Schnösel zu meinem Ärger einfach aus dem Staub, während der Mopedfahrer vergeblich versucht, sein Vehikel wieder in Gang zu bringen. Immerhin hat er Glück gehabt und ist unverletzt geblieben.

Kurze Zeit später beobachte ich einen Kutschenfahrer, wie er sein mageres, kleines Rösslein schlägt. Diese bedauernswerten Kreaturen warten den ganzen Tag in sengender Sonne auf Touristen, während ihr Herr und Meister irgendwo im Schatten sitzt. Beim ersten Mal bleibt es noch bei einem unterdrückten Fluchen, beim zweiten Mal jedoch verliere ich in Sekundenschnelle die Contenance. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der arme Mann, der nicht weiss, wie ihm geschieht, schon einmal derart auf Schweizerdeutsch zusammengeschissen worden ist. Fuck you, Bastard!

 

Horse carriages in Pyin U Lwin
Auf Kundschaft wartend

Der wahre Tiefpunkt folgt kurz darauf.

Können Tiere Selbstmord begehen? Kaum. Dazu fehlt ihnen das entsprechende Bewusstsein. Die sich im Folgenden abspielende kleine Tragödie beweist aber das Gegenteil. Aus einer Seitenstrasse tappst, Kopf geradeaus, mit zielgerichteten kleinen Schritten, ein noch junger rabenschwarzer Vogel in Richtung der Strasse, auf der der dichte Feierabendverkehr braust.

Im ersten Moment finde ich es irgendwie noch lustig, bin überzeugt, dass er gleich die Gefahr erkennen wird und wegfliegt. Eben nicht. Während ich ihm noch zurede, hält er stur die Richtung ein, tritt hinaus auf die Strasse. Die Mopedfahrer können auf mein Rufen hin noch ausweichen, der schwere PW hingegen … Ich kann mich eben noch abwenden, doch das Geräusch der krachenden Knochen verfolgt mich bis in den Schlaf. Lieber Himmel …

Gemäss Führer soll es hier ein Waisenhaus geben, und da ich mich vor dem Abflug mit allerlei Spielzeug und dergleichen eingedeckt habe, wäre dies eine Gelegenheit, es loszuwerden. Aber es passt zu diesem komischen Tag: so sehr ich mich auch bemühe, mich bei den Leuten auf der Strasse erkundige – ich finde das besagte Haus nicht. Also werde ich auf eine neue Gelegenheit warten müssen, eine gute Tat zu vollbringen.

 

Auf dem Markt

Die Stadt bietet einen wunderschönen Markt, versteckt zwischen Häusern und Gassen. Hier möchte ich mich mit Proviant für die morgentliche Fahrt nach Hsipaw eindecken. Das Problem ist nur, dass ich den Ausgang nicht mehr finde und tatsächlich auf die Hilfe der Besucher angewiesen bin. Sie finden das natürlich extrem lustig. Schon wieder einer dieser Westler, die keine Ahnung von gar nichts haben.

 

Market
Proviant für die Zugfahrt

open kitchen in Pyin U Lwin
Frisch zubereitet …

Restaurant
Ein kleines Restaurant …

 

PS Song zum Thema: Rose Tattoo – Suicide City

Und hier geht die Reise weiter …