Bhamo liegt vollkommen abseits der Welt.
Man muss sich einen Ort vorstellen, der zwar über Land und Wasser und Luft erreichbar ist, aber durch seine besondere Lage eine gefangene kleine Insel inmitten von Dschungel und Niemandsland darstellt. Die Unruhegebiete der Aufständischen sind zwar nah, aber davon merkt man nicht viel.
Doch schon die Ankunft bei der Anlegestelle deutet darauf hin, an einem sehr besonderen Ort angekommen zu sein. Es herrscht eine andere Stimmung, seltsamerweise viel entspannter und gelassener als beispielsweise in Mandalay. Vielleicht hat es mit seinem besonderen Charakter als abgelegenes Eiland zu tun. Alles ausserhalb ist ausgesperrt, all die Verrücktheiten des modernen Lebens scheinen hier noch nicht angekommen zu sein.
Das ist schon mal ein guter Anfang.
Ein seltsames Hotel
Das Hotel liegt im Stadtzentrum (falls man dies als solches bezeichnen kann), es ist ganz ok, obwohl ich nicht meine ganzen Ferien hier verbringen möchte.
Das Zimmer müffelt etwas, und irgendwas an der Dusche ist seltsam. Einige TV Kanäle sind sogar als solche erkennbar (allerdings stört mich schon ein bisschen, dass mitten in Alien 3 der Strom ausfällt und der entsprechende TV Kanal anschliessend verschwunden ist; da ich den Ausgang der Geschichte aber kenne, kein wirkliches Problem).
Die Rezepte des Doktor Tayzar Soe Myint
Die verflixte Erkältung, die mich seit dem Ghostrider-Trip verfolgt, hat erneut zugeschlagen (die eiskalte Nacht im Zug hat das ihrige dazu beigetragen). No Problemo würde Arnold Schwarzenegger sagen, aber der zunehmend heftige Husten macht mir etwas Sorgen, also beschliesse ich, die Segnungen des burmesischen Gesundheitssystems auf Herz und Nieren zu prüfen. Ein paar Schritte vom Hotel befindet sich ein Private Health Center.
Private Health Center? Klingt doch ganz annehmbar.
Angesichts der vielen Wartenden bereite ich mich auf eine längere Geschichte vor, aber nein, Ausländer erhalten wieder mal eine gesonderte Behandlung. Nach der initialen Identifikation werde ich in ein Zimmer geführt, wo ich von einem jungen Arzt und einer Entourage von knapp 10 Personen erwartet werde.
Ich fühle mich wie eine seltene, längst ausgestorbene Spezies, die nun wissenschaftlich untersucht werden soll. Dann also hinlegen, Blutdruck wird – anfänglich über den Ärmel meiner Jacke – von einer jungen, hübschen und ein bisschen schüchternen Dame genommen.
Das Nicken des Dottore kann alles bedeuten, aber weiter geht’s in ein anderes Zimmer, wieder hinlegen, eine neue Dame erscheint, sie misst eventuelles Fieber, was aber nicht da ist. Dann der Auftritt des Arztes: sein Englisch ist recht ordentlich, er fragt nach der Krankengeschichte, nach möglichen Allergien, nach anderen Krankheiten oder notwendigen Medikamenten.
Und so schreibt er mir ein Rezept aus, selbstverständlich auf Burmesisch, es ist lang und mit Zeichnungen, offenbar meiner Lungenflügel, ergänzt. Meiner Lungenflügel? Das macht mir nun doch etwas Sorgen, und ich frage nach.
Doch Zeichnungen gehören offenbar zwingend dazu, auch wenn nichts Ernsthaftes zu befürchten ist. Rest and drink a lot, sagt er mit ernster Miene. Werde ich machen, verspreche ich, und nehme bei der Apothekenabteilung mehrere Medikamente (die sehr farbig und sehr wirksam aussehen) und einen orangefarbenen Hustensirup entgegen. Die Rechnung werde ich zuhause wohl eher nicht über die Krankenkasse abrechnen. Behandlung = 4000 Kyats (4 Fr.), Medikamente = 5000 Kyats.
Was mir tatsächlich verschrieben worden ist, weiss ich nicht. Jonathan, der UNHCR Schweizer, glaubt, dass zumindest eines der Medikamente ein Antibiotikum sein muss. In diesen Landen wird zuerst und immer Antibiotika verschrieben. Na ja, Hauptsache, es nützt.
Der ehrwürdige Mr Sein Win
Immer wieder – auf diesen Reisen ganz besonders – lernt man Menschen kennen, die vieles auf den Kopf stellen, was man bisher gewusst zu haben glaubt. Sie gehören einem ganz besondere Typ Mensch an. Jenem mit Träumen.
Einer davon ist der ehrwürdige Mr. Sein Win. Wir finden ihn in einem weissgestrichenen Häuschen, das mehr Werkstatt als Wohnhaus zu sein scheint.
Wir möchten eigentlich einen halbtägigen Veloausflug mit ihm unternehmen, bleiben jedoch bereits in seinem Haus stecken, denn das, was er uns voller Stolz präsentiert, verdient tatsächlich besondere Beachtung.
Ein flugfähiger Helikopter
Dieser steht nichts etwa in der Werkstatt, oh nein, er steht mitten im Wohnzimmer (falls es das ist), ein auf den ersten Blick nicht unbedingt als Helikopter erkennbares Ding aus Metall.
Aus seinen Erklärungen entnehmen wir, dass er ihn aus alten Wasserröhren zusammengeschweisst hat (so sieht er auch aus), er besitzt einen Propeller, einen abgewetzten Sitz (offenbar haben Hundertschaften seiner Kunden sich darauf gesetzt), Steuerungskomponenten, eigentlich alles, was zu einem ordentlichen Helikopter gehört. Für die Steuerung hat er sich mangels Alternativen etwas Spezielles ausgedacht, was unserer bescheidenen Meinung nach auch tatsächlich funktionieren könnte.
Nur eines fehlt – der Motor! Leider besitzt Herr Win die notwendigen 2500 $ nicht, um sich den 45 PS Motor kaufen zu können. Die Geschichte der Entwicklung ist lang und voller technischer Einzelheiten, die durchaus Sinn machen. Allerdings macht mich die Vorstellung, dass er tatsächlich eines Tages mit diesem Ding in die Lüfte abheben will, doch etwas Bange. Für sein Seelen- und alles andere Heil hoffe ich für ihn, dass sein Traum immer ein Traum bleiben wird.
Tempel und Handwerker
Nach der Verabschiedung von Mr. Sein Win (es bleibt Wehmut und ein bisschen Trauer über den Erfolg/Misserfolg des ehrwürdigen alten Ingenieurs), setzen wir uns auf die etwas herunterkommen aussehenden Fahrräder und besuchen die Umgebung Bhamos.
Irgendwo stossen wir auf den/die unvermeidlichen Tempel und Stupas, aber viel interessanter sind – wie immer – die Menschen.
Trotz der sichtbaren Armut legen die Menschen eine gelassene und optimistische Energie an den Tag (es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig). Es wird mit den Mitteln, die vorhanden sind (vergleichbar mit den 50-er Jahren in Europa), gearbeitet, also mit altmodischen Maschinen zum Sägen, mit Pickel und Schaufel beim Strassenbau.
Es ist seltsam, aber auf irgendeine unverständliche Weise beneidet man sie.
Drei Schritte vor, zweieinhalb zurück
Am Abend stellt uns Jonathan, der für das UNHCR arbeitet, sein Haus vor. Man tritt durch eine Art Tor direkt ins Wohnzimmer, was sich letztlich als grosser geräumiger Raum entpuppt, mit einem schönen Riemenboden, mit Wänden aus Holz.
Das ist mehr oder weniger aber auch schon alles. Zwei Sessel sind vor einem grossen TV Apparat angeordnet, beleuchtet von einer schrecklichen grellen Glühbirne, die allem einen kränklichen Eindruck verleiht.
Es gibt eine Art Küche, eine Art Badezimmer und Dusche, ein ganz ordentliches Schlafzimmer. That’s it. Man stelle sich ein Bauernhaus Anfang 20. Jahrhundert vor, dunkel, rauchgeschwärzte Wände und Decken, irgendwo ein Ofen oder eine Feuerstelle, alles sehr einfach und ärmlich.
Ich bin sicher, dass ich in diesem Haus nach dreissig Minuten die erste depressive Verstimmung hätte.
Aber ihm gefällt’s, und das ist die Hauptsache. Man muss offenbar zu einer Species gehören, die alles ein bisschen weniger eng sieht. Seine Arbeit bestätigt diese Annahme. Er ist im Auftrag des UNHCR als Koordinator für die Flüchtlingscamps verantwortlich, d.h. für die tausenden von Kachin Refugees, die aus ihren Dörfern vertrieben wurden und nun seit Jahren in Camps darauf warten, in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren zu können.
Drei Schrittchen vorwärts, zweieinhalb grosse Schritte zurück, das ist für ihn Daily Business. Mühselige, endlose Verhandlungen mit der Regierung, mit den Aufständischen, mit den vielen christlichen Kirchen, die als einzige etwas für die Flüchtlinge tun, aber seit langem an ihre Grenzen kommen.
Das ist definitiv eine andere Welt, die uns durch die rosarot gefärbte Touristenbrille meistens vorenthalten bleibt …
PS Song zum Thema: Pink Floyd – High Hopes
Und hier geht die Reise weiter …