Oh, yes think twice, it’s just another day
For you and me in paradise
Oh, yes think twice, it’s just another day
For you, you and me in paradise
Just think about it, just think about it …

Ich bin kein grosser Fan von Phil Collins, aber einige seiner besten Songs gehören in jede Bestenliste.

Beispielsweise Another Day in Paradise.

Ist es zynisch, ausgerechnet in einem Moloch wie Delhi vom Paradies zu sprechen? Nein. Denn die folgenden Textpassagen erklären, was ich meine.

She calls out to the man on the street
„Sir, can you help me?
It’s cold and I’ve nowhere to sleep
Is there somewhere you can tell me?

He walks on, doesn’t look back
He pretends he can’t hear her
He starts to whistle as he crosses the street
She’s embarrassed to be there

Wir sind Beobachter, unbeteiligt, kalt, distanziert. Fremdkörper. Voyeure, aus dem Paradies kommend, ins Paradies zurückkehrend.

Wer etwas anderes behauptet, hat nichts verstanden …

 

Zurück, wo das Leben tobt

Heute nehme ich Abschied von Delhi. Abschied von Indien.

Vielleicht macht es der Eindruck des letzten Tages irgendwie leichter, durch den dichten Smogschleier, der den ganzen Tag über auf der Stadt lastet, zu spazieren. Delhi soll im letzten Jahr Bejing als Stadt mit der schlimmsten Luftverschmutzung abgelöst haben.

Neu-Delhi ist die Stadt mit dem weltweit höchsten Feinstaubgehalt in der Luft. Dieser liegt noch 45 % höher als im ebenfalls für extremen Smog bekannten Peking, das den zweiten Platz belegt. 2006 hatten, bei damals noch besserer Luftqualität – 40 % der Kinder der Stadt Atemwegsprobleme. Als Hauptursache wird der ausufernde Fahrzeugverkehr angesehen. Im März 2015 stellte ein Gericht fest, dass die Luftverschmutzung in Neu-Delhi „außer Kontrolle“ sei. Versuche, das Problem durch Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Umstellung von Bussen und Autorikschas auf Gasbetrieb zu lösen, führten vor gleichzeitiger Neuzulassung von 1400 neuen Kraftfahrzeugen täglich, viele davon mit Dieselantrieb – zu keiner Verbesserung der Situation. Die extreme Luftverschmutzung wird zum Wachstumshindernis, da ausländische Investoren nur schwer Mitarbeiter zum Umzug in die Stadt bewegen können. 2016 und 2019 wurden kurzzeitig Fahrverbote, welche abwechselnd für Fahrzeuge mit geradem oder ungeradem Kennzeichen galten, erlassen. Im Herbst und Winter stiegen die Belastungen wegen der landwirtschaftlichen Brandrodungen jeweils weiter an. (Wikipedia)

Alles andere als ein Spaziergang in gesunder Luft. Aber für mich bedeutet es lediglich einen kurzen Abstecher in eine Art Todeszone, während dies für Millionen Stadtbewohner eine alltägliche Zumutung und Gefahr darstellt.

 

Siesta indian style
Siesta nach indischer Art
Tailor at work on the sidewalk
Schneider bei der Arbeit auf dem Trottoir
Sugar cane becomes sweet juice
Zuckerrohr wird zu süssem Saft

Connaught Place

Also ein letzter Gang durch die Strassen und Gassen, heute im modernen New Delhi, zuerst bis zum Connaught-Place und dann die lange Janpath Road hinaus bis zum India Gate und wieder auf dem Gandhi Marg zurück.

Der sichtbare Unterschied zwischen extremer Armut und exorbitantem Reichtum zeigt sich nirgends krasser als beim Connaught Place. Der Weg zu Fuss von Old Delhi zum Connaught Place ist ein Ausflug auf kürzester Distanz zwischen zwei völlig verschiedenen Arten von Indien. Man beginnt mitten im Chaos, in der Kakophonie von Old Delhi, wo die Armut aus den Augen starrt, flaniert auf einer langen Strasse entlang, nickt den Familien zu, die auf den Gehsteigen wohnen, und verlässt langsam und beinahe unbemerkt das arme Indien und gelangt zum anderen Indien, wo nicht die Armut, sondern der schockierende Reichtum zuhause ist.

Man überquert mit eiligen Schritten die mehrspurige Strasse, die rings um den Connaught Place geht, tritt durch einen der Eingänge und glaubt einen Augenblick, in einer anderen Welt gelandet zu sein. Eine Welt des Geldes, der schönen Dinge, der schönen Menschen, des zur Schau gestellten Wohlstands. Die Preise in den zahlreichen Boutiquen, wo sich tout Delhi und seine Jeunesse Dorée trifft, unterscheiden sich nicht von denen der Bahnhofstrasse in Zürich, im Gegenteil, sie scheinen eher noch höher zu sein. Was aber niemanden zu stören scheint …

Der Connaught Place ist Dreh- und Angelpunkt von Neu-Delhi. Er steht in einem großen Kontrast zum überfüllten Zentrum von Alt-Delhi. Der Platz mit erhabenen Fassaden und klassischen Säulen wurde vom Chefarchitekten der indischen Regierung Robert Tor Russell (1886–1953) geplant und ist damit eines der wenigen Viertel der Stadt, die nicht von Lutyens und Baker erdacht wurden.

 

Connaught Place
Sichtbarer Reichtum am Connaught Place

Der Platz ist für ein klassisches Einkaufszentrum sehr großzügig angelegt worden. Ähnlich dem parlamentarischen Hauptquartier südlich sind die Geschäfte und Büros in prächtigen Gebäuden mit Arkadengängen untergebracht. Der Connaught Place beherbergt ein immenses touristisches Angebot, eine große Anzahl von Hotels und Restaurants. (Wikipedia)

 

Das India Gate

Bei einer Tasse Kaffee in einem der schmucken kleinen Restaurants beobachte ich für eine Weile das Leben auf einem anderen Planeten, bis es mir zuviel wird und ich die die Flucht vor soviel Geld und Macht ergreife.

Die Strassen in Richtung des India Gate sind nun breit und gut gepflegt, sogar die Gehsteige sind für einmal nicht bewohnt und frei von abgestellten Motorrädern, Fahrrädern, TukTuks und anderen Dingen, die den Weg versperren. Es ist – wie überraschend – sehr heiss, aber angesichts der Tatsache, dass Hitze und Sonne schon bald eine ferne Erinnerung sein werden, geniesse ich die brennenden Sonnenstrahlen.

 

India Gate
Das India Gate – fast wie der Arc de Triomphe

Das India Gate taucht in der Ferne auf, eine surreale Erscheinung inmitten grüner, gepflegter Wiesen. Es wurde nach dem Muster des Arc de Triomphe in Paris entworfen, allerdings sucht man hier vergebens nach der Avenue des Champs-Élysées.

Ich bin – auch nicht überraschend – nicht der einzige Besucher an diesem sonnigen Tag.

 

I am not the only visitor
Ich bin nicht der einzige Besucher

Back to Paradise

Dann ist dies also, wie immer mit elender Zuverlässigkeit, der letzte Tag. Natürlich nicht ganz, denn morgen früh fliege ich erst mal nach Doha, muss dort dank meiner Blödheit ungefähr achtzehn Stunden auf den Weiterflug warten, bis ich dann endlich am Samstagmorgen den restlichen Teil bis Zürich absolvieren darf (Blödheit deswegen, weil ich bei den Buchungsknopf drückte, bevor ich das Reiseprogramm gelesen hatte).

So wartet auf mich also ein unglaublich langweiliger und völlig überflüssiger Aufenthalt an einem der Orte auf der Welt, an denen ich nicht mal begraben sein möchte. Aber wer weiss, es sind vielfach gerade diese unplanbaren Dinge, die etwas Überraschendes enthüllen könnten. Warten wir’s ab.

Aber Indien hat es wieder mal geschafft, mich auf seine Seite zu ziehen, und einmal mehr bin ich überzeugt, dass es kein anderes Land gibt, nicht mal annähernd, dass diese unglaubliche Vielfalt bietet. Man kann es lieben, so wie ich, oder hassen, wie viele andere, die sich schwören, lieber den Rest ihres Lebens zuhause zu verbringen, als noch ein einziges Mal nach Indien zu reisen. Es ist müssig, sich Gedanken zu machen, warum es so oder so ist. Man liebt es, oder man hasst es. Dazwischen gibt es nicht allzu viel. Aber ich bin sicher, dass wir von diesem Land noch viel hören werden. So oder so …

Dann bis morgen, im Doha-Purgatorium.

 

PS (überhaupt nicht passender) Song zum Thema:  Jimi Hendrix Experience – All along the Watchtower

Und hier geht die Reise weiter … ins Doha Fegefeuer

 

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