Als Schlossherren erwarten wir eigentlich, im Bett bedient zu werden, natürlich von Dienern in dunkelblauer Livree und weißen Strümpfen, wie es sich für edle Herren gehört. Sie würden uns einen guten Tag wünschen, Kaffee einschenken und pochierte Eier mit Lachs servieren.

Natürlich werden wir enttäuscht, statt der livrierten Diener schleichen ein paar andere Gäste (die gibt es wirklich) durchs Haus, statt der pochierten Eier gibt es gewöhnliches Brot mit Butter und Konfitüre, aber erst nachdem wir den Frühstücksraum gefunden haben.

Im Vergleich zu gestern haben wir einen ganz akzeptablen Weg vor uns, ein paar Kilometer mehr bis Rüeggisberg, aber das soll uns nicht weiter beunruhigen. Allerdings sind für den späten Nachmittag heftige (!) Gewitter angesagt, es könnte also noch heiter werden.

Plan: Länge: 17 km, Aufstieg | Abstieg: 820 m | 620 m, Wanderzeit: 5 h 20 min

Ergebnis (bis Schwarzenburg): Länge: 17 km, Aufstieg | Abstieg: 790 m | 820 m, Wanderzeit: 7 h 03 min

Ein letzter Blick auf die eisgekrönten Berner Alpen, dann hinunter in den Schwarzwassergraben zur ältesten Betonbogenbrücke der Welt. Vom Schwarzenburger Plateau durch Wiesen und Wälder zum aussichtsreichen Guggershörnli mit dem berühmten Vreneli.

Wir lassen uns überraschen. Älteste Betonbogenbrücke der Welt? Noch nie gehört?

From Riggisberg to Guggisberg

Our path, slightly abbridged

Der Charme der Schweiz

Dann machen wir uns – zur Abwechslung mal recht früh – wir verbuchen das unter präseniler Bettflucht – auf den Weg nach Rüeggisberg. Man kommt nicht umhin, über die seltsamen Namen nachzudenken. Riggisberg und Rüeggisberg, zwei Dörfer sozusagen in Sichtweite, der einzige Unterschied ein i statt ein üe im Namen. Wer kommt auf so eine Idee?

Sehr seltsam, aber irgendwie macht das auch den Charme unseres Ländchens aus.

Und dann ist da natürlich noch die Aussprache, die für Auswärtige, also Nichtschweizer, ein grösseres Problem darstellen dürfte: Ein Dorf wie Zäziwil wird Zäziwiu ausgesprochen, der Belpberg heisst Bäupberg.

Tja, die Schweiz …

On the way to Rüeggisberg

Nach Riggisberg nehmen wir den kürzesten Weg nach Rüeggisberg, allerdings um den Preis, dass wir den grössten Teil auf Asphaltstrassen gehen müssen. Aber wir nehmen es mit wandertypischer Gelassenheit, schließlich kann uns in unserem Alter nichts mehr erschüttern.

Das Kloster Rüeggisberg

Das wahre Highlight des Tages befindet sich in Rüeggisberg in Form einer alten Klosterruine.

Cluny Abbey
Abtei Cluny

Es handelt sich um ein ehemaliges Kloster des französischen Cluniazenser-Ordens.

Die Abtei von Cluny in Burgund war als Ausgangspunkt bedeutender Klosterreformen eines der einflussreichsten religiösen Zentren des Mittelalters. Ihre Kirche war zeitweise das größte Gotteshaus des Christentums (Wiki).

Ein ziemlich unbekannter Orden, wie sich herausstellt, obwohl wir als ehemalige Klosterschüler eigentlich über verwandte katholische Orden Bescheid wissen wüssten.

 

The old Clunianzenser Monastrey

Ich zitiere aus der WebSite:

Die alten Gemäuer der Klosterruine Rüeggisberg erzählen eine fast tausendjährige Geschichte. Wer durch die geheimnisvollen Überreste der einst mächtigen Klosteranlage wandelt und die herrliche Fernsicht über das Berner Oberland geniesst, fühlt sich sofort in die Zeit der Mönche, Ordensbrüder und Choräle zurückversetzt.

Im 11. Jahrhundert schenkte der reiche Landadelige Lütold von Rümligen dem Ort Cluny im französischen Burgund Land. In Rüeggisberg sollte eine bemerkenswerte Kirche gebaut werden. Aus den ersten einfachen Zellen entstand im Laufe der nächsten hundert Jahre eine imposante romanische Basilika mit mehreren Anbauten. Uralte Grundmauern, mächtige Pfeiler und eindrückliche Bögen zeugen noch heute von der einstigen Grösse des einflussreichen Mönchsordens aus Frankreich.

 

Ruins of an old Cluniazenser Monastery

Das Kloster ist als erste Niederlassung der französischen Cluniazenser in der Deutschschweiz bekannt.

Leider trübten Verschuldung, Plünderungen, Überfälle und Zweckentfremdungen die glanzvolle Geschichte des einst einflussreichen Wahrzeichens der Region. Nach der Reformation musste die Klosterkirche 1484 ihre Pforten schliessen. Ein Dorfbrand in Rüeggisberg machte dem einst prächtigen Bau schliesslich den Garaus. Die Bewohner verwendeten die Steine des bereits verfallenen Klosters kurzerhand für den Wiederaufbau ihrer eigenen Häuser und der Dorfkirche. Die verbliebenen Räumlichkeiten dienten fortan als Kornspeicher und Scheune.

Old ruins

Seit 1484 geschlossen, geplündert, niedergebrannt und zweckentfremdet, lässt der Anblick der alten Mauern noch immer die ursprüngliche Pracht erahnen. Man glaubt die Choräle zu hören, die schwarzgewandeten Mönche durch die Gänge schweben zu sehen, den Duft von Weihrauch und Myrrhe zu riechen.

Inmitten der Ruine wird eine Messe gefeiert, offenbar ist die Ruine noch immer ein Treffpunkt frommer Katholiken, die sich in der streng reformierten Gegend als Außenseiter fühlen müssen.

Alphornbläser für den festlichen Rahmen

Und dann, ganz unerwartet, schweben von der anderen Seite dumpfe Klänge durch den Morgen.

Eine Gruppe traditionell gekleideter Alphornbläser, darunter mehrere Frauen, hat sich im Halbkreis aufgestellt und gibt den Zuschauern ein Ständchen. Und ausnahmsweise – ich bin weiß Gott kein großer Anhänger der Alphornkultur – lauschen wir überrascht und fast ein wenig gerührt.

Group playing Alphorn behind the ruins

Dem Gewitter entgegen

Die Medien geben eine Gewitterwarnung heraus – wow! Der große Weltuntergang wird zwar erst für den Nachmittag erwartet, also Eile mit Weile. So schlimm wird es wohl nicht, aber ein mulmiges Gefühl schleicht sich ein. Dieses Jahr will uns der Wettergott zeigen, wo Bartli den Most holt.

Nach Rüeggisberg bietet der Panoramaweg wieder das, worauf wir uns jeden Morgen freuen: lange Hügelpassagen entlang blühender Wiesen. Manchmal führt der Weg in Schluchten hinunter, über schmale Brücken, dann wieder steil hinauf. Die Sonne verschwindet hinter dicht belaubten Bäumen, ein paar spärliche Strahlen dringen durch, zaubern Streifen auf den Boden.

Through dense woods and along steep paths

We cross the Schwarzwasser (black water) River

Der Fluss Schwarzwasser – so heißt er tatsächlich – weckt Erinnerungen an Mittelerde oder, je nach Geschmack, an den Kontinent Westeros aus Game of Thrones. Der Name scheint beliebt zu sein, wenn es darum geht, ein besonders heimtückisches Gewässer zu benennen. Unser Fluss sieht dagegen sehr harmlos aus, hier würde Hellfire nicht viel bringen (siehe Ausschnitt).

Wenn ich mich nicht irre, fällt der dicke Hobbit Bombur bei der Durchquerung des Düsterwaldes in das Schwarzwasser und schläft tief und fest, worauf ihn seine erschöpften Zwergenfreunde tragen müssen.

Doch die Schlacht am Schwarzwasser am Ende der zweiten Staffel von Game of Thrones schlägt so ziemlich alles, was es an Seeschlachten gibt. Die Flotte und die Armee von Stannis Baratheon erreichen Königsmund und der Kampf um die Stadt beginnt.

Hier ein Ausschnitt (nichts für schwache Nerven):

Aber eines ist klar: Auch der heutige Tag istabgesehen von den kommenden Wetterkapriolen – eine wunderbare Darstellung all dessen, was ein nicht einmal besonders sonniger Tag zu bieten hat. Manchmal wähnen wir uns in einem Gemälde, halten inne, bewundern, richten unsere Aufmerksamkeit auf die Landschaft, auch wenn sie auf den ersten Blick nichts Besonderes zu sein scheint.

Manchmal genügt der Anblick eines Bauernhofes, der still und scheinbar verlassen daliegt, als würde er auf etwas warten. Dann wieder eine Pause auf einem seltsamen Holzgestell, dessen Sinn und Zweck sich nicht auf Anhieb erschließt, aber das ist uns egal. Von da an führt der Weg wieder durch mannshohes Gras, wir kämpfen uns durch, während der Blick nun öfter zum Himmel geht, wo sich etwas Unheilvolles zusammenbraut.

Along the typical Bernese farm houses

Short break

Walking through high grass

Das Gewitter

Für einmal scheinen die Wetterpropheten recht zu behalten, denn wenige Kilometer vor Schwarzenburg verdunkelt sich der Himmel und lässt Schlimmes erahnen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die diesjährigen Wetterkapriolen mitunter recht gefährlich sein können, vor allem wenn sie mit Hagel einhergehen.

Und so ist es mit dem gemächlichen Schreiten vorbei, es muss pressiert werden, was das Zeug hält. Schon auf diesen letzten Kilometern entwerfen wir Alternativpläne, neudeutsch Contingency Plans. Doch die Möglichkeiten sind überschaubar, es gibt eigentlich nur eine, nämlich bei allzu schlechtem Wetter mit dem Bus nach Guggisberg zu fahren.

So weit ist es aber noch nicht, obwohl sich bei unserer Ankunft der Himmel über Schwarzenburg tief und schwarz verfinstert. Wir erkundigen uns nach einem geöffneten Restaurant, finden mit etwas Glück eines mit überdachtem Gartensitzplatz und warten nun bei einem gemütlichen Kaffee und einem Schwatz mit den Nachbarn auf den kommenden Weltuntergang.

Waiting for the thunderstorm

Es lässt nicht lange auf sich warten, es wird noch dunkler, schwere Regentropfen prasseln auf die Plane über dem Sitzplatz. Wir fühlen uns sicher, aber nach einer halben Stunde zeigt das Gewitter, wo der Hammer hängt und vertreibt uns ins Innere des Restaurants.

Der Bus fährt um 16.43 Uhr, wir ergeben uns dem Schicksal und lassen uns durch den Regen nach Guggisberg kutschieren. Der Blick aus dem Fenster ist entspannt, aber wir merken, dass diese letzten 12 Kilometer ein echter Kraftakt gewesen wären und so langsam schleicht sich die Gewissheit ein, dass uns das Wetter einen Gefallen getan hat.

Das Guggershörnli

Während ich es mir altersbedingt in den Gemächern gemütlich mache (die Tagesnotizen sind ziemlich vernachlässigt worden), sind die beiden Jungspunde noch nicht müde und beschließen, das nahe gelegene, berühmte Guggershörnli zu besteigen.

Ihre nachträgliche Schilderung des Kurztrips klingt euphorisch und lässt mich vermuten, dass ich etwas verpasst habe. Wie so oft gibt es in solchen Fällen keine Entschuldigung, bestenfalls „im nächsten Leben„.

Da ich durch Abwesenheit glänze, muss ich auf alternative Informationsquellen zurückgreifen:

Das Guggershörnli oder Guggershorn ist ein markanter Berg oberhalb des Dorfes Guggisberg, 12 km südlich von Schwarzenburg im Kanton Bern. Die bewaldete Bergkuppe ist wegen ihrer charakteristischen Form schon von weitem sichtbar. Zusammen mit dem östlich angrenzenden Schwendelberg bildet das Guggershorn eine Gruppe und ein erstes Bollwerk der Voralpen.

Ascent to the GuggershörnliPath to Guggershörnli

Stairs to GuggershörnliOn top of the Guggershörnli

The successful mountaineersSteep stairs down

Das Gewitter 2.0

Und dann – eigentlich erwartet und doch in seiner Heftigkeit überraschend – das Gewitter, auf das wir gewartet haben. Der Himmel wird erst grau, dann dunkler und schließlich schwarz. Der Versuch, das Ereignis gebührend festzuhalten, endet genau in dem Moment, als der Regen quer gegen das Haus zu prasseln beginnt. Dann wilde Flucht ins Innere des Zimmers.

Wir haben übrigens ein ganz besonderes Zimmer bekommen – zwei Etagen, verbunden durch eine steile Treppe, alles aus Holz, mit Balkon, da könnte man sich eine Weile wohlfühlen. Und das Abendessen – eine Wohltat nach unseren spartanischen Picknicks.

The Storm is here

Das Guggisberg Lied

Der heutige Song zum Thema ist für einmal ganz klar – das Guggisberg Lied.

Es hat mich aus unerfindlichen Gründen während Tagen und Wochen auf meiner Wanderung verfolgt, und zwar Tag und Nacht. So sehr ich dieses Lied mag, nach einer gewissen Zeit verliert es an Schönheit und ist einfach nur noch nervig. Ich habe alles Mögliche versucht, es durch andere Ohrwürmer zu ersetzen, ohne Erfolg. Jä nu, dann hallt halt die traurige Geschichte vom Vreneli und Hans-Joggeli noch etwas nach.

Das Lied vom Vreneli ab em Guggisberg, kurz Guggisberglied, auch Guggisbergerlied oder Altes Guggisbergerlied genannt, ist wohl das älteste noch bekannte Schweizer Volkslied. Es wurde erstmals 1741 erwähnt, die älteste erhaltene Textvariante stammt von 1764.

Es gibt unzählige Versionen davon, für mich ist die modernste gleichzeitig die beste: Steff La Chef – Guggisbärglied

Und hier geht morgen die Reise weiter – zum Schwarzsee

 

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