Irritiert und verärgert und wehmütig über die Veränderungen der Stadt, beschliesse ich, mit dem Fahrrad die Umgebung zu erkunden, dorthin, wo sich garantiert kein Massentourist verirrt.
Auf unbekannten Pfaden
Ich überquere die Brücke, die zu den äusseren Quartieren führt. Boote fahren den braungelben Kanal entlang.
Es dauert nicht lange, und der Lärm und die Abgase bleiben zurück, eine schmale Strasse führt durch schattige Alleen, entlang sumpfiger Kanäle zu den Hügeln der Shan-Berge. Manchmal überholt mich in schnellem Tempo ein Ausländer, im Stress wie’s scheint, während ich das Schritttempo geniesse.
Und während die friedvolle Landschaft gemächlich an mir vorüber huscht, ist mein Kopf so leer wie bei einer Vipassana Meditation. Wer nicht weiss, was das Hype Wort „Achtsamkeit“ bedeutet – dies ist es! Die Gedanken fliessen vorbei, man beobachtet sie, sieht ihnen nach, spürt, wie sich Ruhe und Frieden einstellen. Doch der Friede wird gestört durch Kinder am Strassenrand, doch anstelle eines scheuen Mingalaba (Guten Tag) rufen sie nun Money. Damn it!
Doch die Umgebung, die stillen Kanäle, auf denen Fischer ihre Boote treiben lassen, die kleinen armseltigen Hütten, scheinbar mitten im Sumpf liegend, sie bringt den Seelenfrieden schnell wieder zurück.
Money!
Die Zerstörungskraft des Massentourismus am lebenden Beispiel. Kein Lächeln mehr im Gesicht, die angeborene Freundlichkeit verschwunden, ersetzt durch MONEY, MONEY. Irgendwo bei einem Kloster steige ich vom Rad, sofort tauchen ein paar Buben auf, Money klar, und einer greift mir doch tatsächlich an die Brieftasche.
Tja, was soll man dazu sagen? Nichts. Es ist der Lauf der Welt.
Auf nach Taunggyi
Um halb fünf werde ich abgeholt, Sammeltaxi zum Ballonfestival in Taunggyi, ein Event, der jährlich zu dieser Zeit ausgetragen wird und tausende von Zuschauern aus der ganzen Gegend (und mittlerweile der ganzen Welt) anzieht.
Und heute ist der Höhepunkt und – es ist Vollmond, für alle Buddhisten ein wichtiges monatliches Ereignis. Es scheint sich halb Burma auf den Weg zum Ballonfestival zu machen. Die Fahrt dauert, hervorgerufen durch den dichten Verkehr, der in den Bergen um Taunggyi immer schlimmer wird, ziemlich lang, doch genau zur richtigen Zeit erreichen wir den riesigen Platz, wo die berühmten Ballone aufsteigen werden.
Bei der Ankunft ist es bereits dunkel, die bunten Silhouetten der Karussels zeigen den Weg. Es erinnert an die Chilbi (Jahrmarkt) in der Schweiz, an den Rummelplatz, den Lärm, die Musig aus allen Richtungen.
Wie ein Stones-Konzert
Es sind bereits tausende Zuschauer versammelt, zum Teil noch Kilometer entfernt, sind hunderte noch zu Fuss auf dem Weg.
Die Atmosphäre erinnert mich an Stones-Konzerte, an das Durcheinander vor dem Konzertbeginn, die erwartungsvolle Stimmung. Überall dröhnen riesige Lautsprechertürme, Beats wie an der Streetparade, Jahrmarktstimmung, Essstände (mit allerhand undefinierbarem Zeugs; einiges sieht verdächtig nach Innereien aus), Stände mit Geschicklichkeitsspielen, an denen sich die Jugend trotz wenig Erfolg vergnügt. Man lässt sich durch die Menge treiben, wartet auf den Beginn des Spektakels, das dann einigermassen pünktlich startet.
Und dann geht’s los – endlich
Der Tross von Fahrzeugen, die sich mitten durch die dichteste Menge mühen, erinnert ebenfalls an die Streetparade. In der Platzmitte beginnt dann die Vorbereitung.
Irgendwoher taucht dann etwas auf, das die Hülle sein könnte, irgendwo brennt plötzlich Feuer, die Erregung der Menge steigt, man hört Gesänge, erkennt tausende von Armen, ekstatisch in die Höhe gereckt, dazu das rhythmische Schlagen von irgendwelchen Schlaginstrumenten.
Flug in die Unendlichkeit
Und dann ist es endlich soweit. Die Hülle wird durch die heisse Luft langsam aufgebläht, jetzt erkennt man die wunderbaren Farben, die Zeichnungen und Schriftzeichen darauf, sie werden grösser und grösser, bis der Ballon in seiner ganzen Pracht über der Menge hängt.
Eine Minute lang kippt er auf die Seite, ein Stöhnen geht durch die Menge, aber wundersamerweise gelingt es der Crew, ihn wieder in die Senkrechte zu bringen.
Schliesslich rennen Leute heran, sie tragen ein viereckiges Gestell, das unten angehängt wird, und jetzt, zum Entzücken der tausenden von Zuschauern – Ah! Oh! – erhebt sich der Ballon in den Nachthimmel, und kaum hat er eine gewisse Höhe erreicht, spuckt er Feuerwerk aus dem angehängten Gestell. Ein Funkenregen senkt sich herab, rote, grüne, gelbe Explosionen, Sterne, alles da, alles, was wir auch kennen, aber nie wie in diesem Wahnsinnsspektakel.
Es ist irgendwie unglaublich schön und irgendwie auch sehr traurig, wie der Ballon immer kleiner wird, eine Minute hinter Wolken verschwindet, während die Funken und Explosionen daraus hervorschiessen, und wieder auftaucht, schon ganz klein, und während die Zuschauer ihre Aufmerksamkeit längst wieder ihren Smartphones zuwenden, verschwindet er im Dunkel der Nacht. Ein winziger kleiner Funke, ein letztes Glühen, und weg ist er, irgendwo auf dem Flug nach Nirgendwo …
PS Song zum Thema; The Kills – Black Balloon
Und hier geht die Reise weiter …