Ferien sind auch nicht mehr, was sie mal waren.
Das könnte man aufgrund der sich häufenden Frühaufstehaktionen den Eindruck gewinnen. Ich weiss nicht, das wievielte Mal ich nun vor sechs Uhr aufstehen muss, weil entweder der Zug, der Bus, das Tuk-Tuk oder sonst irgendeine Dringlichkeit dies verlangt.
Allerdings gewöhnt man sich daran, und vor allem, man hat es gewusst, gibt es doch mancherlei Erinnerungen an frühere Erfahrungen dieser Art (Mandalay, Santiago de Cuba, Marokko, Pak Beng … und viele andere).
Erinnerungen an Varanasi
Besonders im Gedächtnis geblieben ist die frühmorgendliche Fahrt in Varanasi (früher Benares genannt). Man stelle sich einen grauen, noch kaum durchsichtigen Morgen vor, ein leichter Nebel liegt in der Luft, der Fahrer der Velo-Rischka, ein drahtiger Mann nicht mehr ganz in den besten Jahren (was in Indien wahrscheinlich zwischen dreissig und vierzig bedeutet) tritt mit aller Kraft in die Pedalen.
Unser noch schlaftrunkener Blick – schliesslich ist es kurz nach fünf – schweift in die Umgebung und erkennt auf den Feldern abseits der Strasse unzählige schemenhafte Gestalten, manche aufrecht, die meisten jedoch hingekauert, und alle gehen sie ihrer morgendlichen Notdurft nach, oder mit anderen Worten, sie kacken. Na gut, in Abwesenheit geeigneter sanitärer Anlagen gibt es wohl keine anderen Möglichkeiten …
Später dann, auf dem Ganges, weitere erinnerungswürdige Gegebenheiten, die für sich allein ein Kapitel wert wären (allein der Geruch der brennenden Leichen, die frühmorgends am Ufer des Ganges kremiert werden, verleiht den Erinnerungen die notwendigen Sinnesaspekte).
Speedboat
Heute ist es die Abfahrt des Speedbootes, das mich mitten in der Nacht aus den Federn holt und mich in Windeseile nach Siem Reap, der letzten Station meiner Reise und Sitz der weltberühmten Tempel von Angkor Wat, bringen soll.
Es gibt zur Abwechslung wieder mal eine Aufregung meines Tickets wegen (auch dies eine sich wiederholende Erfahrung), und auch diesmal löst sich alles in Wohlgefallen auf. Das Boot schaut schon mal sehr schnittig aus, mit schmalen Körper, spitzem Bug, weissgestrichenem Dach, auf dem sich bereits eine Anzahl Passagiere bequem gemacht hat.
Dumpfes Röhren der Aussenbordmotoren
Pünktlich zur Abfahrtszeit dröhnt der Motor auf, langsam bewegt sich das Boot vom Ufer weg, dann, mit einem dumpfen Röhren wie aus dem Rachen eines urzeitlichen Ungetüms, schwillt der Lärm an, und wir bewegen uns. Leicht wie eine Feder, so scheint es, doch immer schneller und schneller gleiten wir über das Wasser des Tonle Sap Rivers, doch erst in der Mitte des Flusses, wenn endlich freie Fahrt möglich ist, gibt der Kapitän Vollgas.
Wow! Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie schnell das Teil fährt, aber das Ufer eilt in derartigem Tempo vorbei, dass man den Eindruck hat zu fliegen. Es sind genau 231 Kilometer Luftlinie, also dürften es mit allen Windungen des Flusses noch ein paar mehr sein, und das Boot braucht für diese Distanz knapp fünfeinhalb Stunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zwischen 40 und 50 Kilometer pro Stunde entspricht. Nicht schlecht schlecht!
Tonle Sap Lake
Allen Abwechslungen zum Trotz – immerhin fahren wir zwischenzeitlich wieder auf dem Mekong – wird man mit der Zeit etwas schläfrig, die Uferlinie wird diffus, bis der Kopf vornüberkippt und man ein halbes Stündchen Schlaf nachholt … Doch pünktlich beim Erreichen des riesigen Tonle Sap Lakes, dem grössten Süsswasser-Reservoir Südostasiens, wird man wieder hellwach.
Der See ist überraschenderweise nicht blau, sondern von einem dunklen Braun, genauso wie der Himmel, der genauso wenig blau ist, sondern eine bräunlich-graue Tönung aufweist, was dem Ganzen eine unwirkliche Dramaturgie verleiht. Falls es auf dem Mars Wasser gäbe und einen See, dann müsste er ungefähr so aussehen …
Wir tauchen also ein in die bräunliche Suppe, jeder Anhaltspunkt an Land ist verschwunden, wir sind allein, verloren im Niemandsland, für ewig auf dem Weg in die Unterwelt Hades …
Doch halt, das ist natürlich pathetischer Unsinn, der Kapitän, ein hagerer Mitvierziger, bohrt sein Auge in die unendlich scheinende Weite, orientiert sich an meterhohen, aus Holzstangen zusammengenagelten Bojen, die von weither sichtbar sind … und bringt uns schiesslich in die Zivilisation zurück, zum Anlegehafen, wo wir bereits von geschätzten zehntausend Tuk-Tuks erwartet werden.
Land in Sicht
Nach knapp fünf Stunden ändert sich die Umgebung. Der See verengt sich, wird wieder zu einem Fluss. Am Ufer tauchen die ersten Boote auf, auch Hütten, die auf dem Wasser schwimmen. Sie machen nicht unbedingt einen stabilen Eindruck.
„Welcome Landolt“
Dann ist es definitiv soweit – am Ufer begrüssen uns reihenweise Hütten, Stände, Sonnenschirme und zahlreiche Fahrzeuge mit zugehörigen Menschen. Es scheint, dass das Ziel nicht mehr allzu weit entfernt ist.
Einer trägt ein Plakat, darauf steht in grossen Buchstaben: Welcome Landolt!
PS Song zum Thema: Meat Puppets – Lake of Fire
Und hier geht die Reise weiter …