Irgendwann durchstossen wir die dichte Wolkendecke, und zum ersten Mal blinkt die Sonne auf. So bleibt es bis in den nahen Osten, wo sich die Wolken auflösen und den Blick auf eine öde Wüste mit merkwürdigen kreisrunden Schatten öffnen. Ich kann mir nicht erklären, was es ist, aber es sieht schön aus.
Der Vollmond verspricht mir Gutes. Ein Omen für die nächsten Wochen, so hoffe ich. Dann wird der Himmel farbiger, gelber, die Sonne verschwindet am andern Ende des Horizonts und hinterlässt eine warme Spur aus Licht und Farben, bis sich auch diese auflösen und Dunkelheit sich breit macht.
Irgendwann, noch immer über dem endlosen schwarzen Meer, tauchen am Horizont erste Lichter auf, sie werden zu einer gleissenden, über dem Ozean schwebenden Lichterkette, dann tauchen wir ein in den brennenden Himmel über Mumbai.
Touchdown
Alles geht seinen gewohnten Gang, schnell und effizient, und schon nach kurzer Zeit schlendere ich an den Beamten vorbei zum Ausgang, wo Hunderte von Tafeln und Zetteln in die Höhe gehalten werden.
Man muss die Schlange langsam abgehen, denn sonst übersieht man womöglich die eigene Tafel, aber da ist sie, Rodolf Landult, und ein junger smarter Inder lächelt mich erleichtert an, begrüsst mich in Indien und führt mich zum Ausgang, wo er kurz ins Handy spricht, um das Taxi heranzuholen.
Ich ziehe die warme aromatische indische Luft in vollen Zügen ein und bade im unvergleichlichen Laut- und Lärmgewitter, dass sich um mich herum entlädt.
Überwältigt
Der Blick durchs Fenster berauscht. Überall Millionen von Menschen, auf der Strasse, auf den Trottoirs, an den Fenstern. Ein endloses Gewirr, ein auf den ersten Blick erschreckendes Chaos, aber es funktioniert. Ich sitze reglos im Taxi, ein Besucher von einem anderen Stern, einmal mehr überwältigt, glücklich.
Und so bin ich in Mumbai – zurück in der verrücktesten Stadt eines ziemlich verrückten Landes.
Es ist ein kleines Hotel, zu dem mich das Taxi nach kurzer Fahrt führt, in einer schmutzigen Nebengasse gelegen und einen Moment lang bin ich im Zweifel, ob ich am richtigen Ort gelandet bin. Aber es hat alles seine Richtigkeit, ich greife zum ersten Mal zwecks Tippverteilung in die Tasche, verwechsle ebenfalls zum ersten Mal einige Münzen und ernte gelassenes Lachen. Dann bin ich im Zimmer, die AC dröhnt, der Kopf dröhnt, es ist alles so, wie erwartet und trotzdem anders.
Ich bin angekommen.
Zärtliche Musik in der Luft
Ich fühle mich aber zum ersten Mal seit Wochen wirklich wohl, beinahe ausgeruht, obwohl der Schlaf in diesem merkwürdigen kleinen Hotel in Flughafennähe kurz und unruhig war.
Aber sogar durch den infernalischen Lärm der AirCon und durch die Ohrenstöpsel hindurch ist das Läuten des iPhones an mein offenbar aufmerksames Ohr gedrungen und hat mich aus dem Schlaf geholt. Das Erwachen kam mir vor wie das Auftauchen aus tiefem schlammigem Wasser.
Schwebend in der Luft eine zärtliche Stimme, Musik, ein indischer Schlager. Wahrscheinlich von Liebe, Verlassenwerden, Hingabe, ewigen Schwüren. Ich sitze beim Frühstück. Vor mir eine leere Kaffeetasse, ein Teller, eine Flasche Mineral. Kellner schweben durch den Raum, leise, sanft in ihren Schritten.
Elephanta
Nach dem Frühstück hinaus in das Monster namens Mumbai, der Hölle für viele, dem Himmel für wenige. Ich bin auf Erkundigung beim Indian Gate, die ersten Momente intensiven Wärmegefühls. So habe ich mir das vorgestellt, als Indien noch ein ferner Traum war. So wie viele andere Träume, die sich manchmal verwirklichen lassen, manchmal nicht.
Treiben lassen, langsam angehen, keine Hektik. Zeit ist kein Problem, der Zug fährt erst heute Abend um elf. Kurz entschlossen das Boot nach Elephanta besteigen. Ein schöner, leiser Beginn. Stündige Fahrt auf einem Kahn, vorbei an der Stadt im Hintergrund, die einfach immer da ist, vorüber gleitet, kein Ende hat.
Aussteigen auf der Insel, ein langer Weg in der Hitze, empor zu den berühmten Höhlen. Touristen tuckern in einem winzigen Spielzeugzug an mir vorbei. Schöne Frauen mit sanften Stimmen sitzen vor Bananen, Mandarinen, Süssigkeiten. Ich kaufe Nüsse in so einer Art Nougat und lasse mich langsam durch die dichter werdenden Horden von Menschen treiben.
Ein kleiner schwarzer Hund
Irgendwo muss ich Eintritt bezahlen, wahrscheinlich viel zuviel, denn es wird mir eine Führerin zugewiesen, die sofort mit einem ermüdenden Palaver beginnt. Ich werde durch die Höhlen geleitet, lasse mir die Götter und ihre seltsamen Schicksale erklären, ärgere mich über die gewalttätigen Portugiesen, die vor Jahrhunderten viel Schaden angerichtet haben. Dann mache ich mich selbstständig und gehe den Wegen entlang weiter.
Ein kleiner schwarzer Hund begleitet mich ein Stück. Er sieht nicht so stark aus wie er sein muss um zu überleben, aber sein Blick zeigt, dass er bereit ist.
Dann Rückfahrt in die Stadt. Einsames, aber glückliches Spazieren durch die Strassen. Ein Drink und etwas Kleines zum Essen in einer der im Führer erwähnten Kneipen. Die Müdigkeit kehrt zurück, doch jetzt ist es eine entspannte Müdigkeit. Es wird dunkel, die Nacht legt sich auf die Stadt, doch alles bleibt laut und hektisch.
Gegen neun hole ich mein Gepäck und lasse mich zum Bahnhof chauffieren. Langes Warten im und ausserhalb des Wartsaals. Bilder schlafender müder Menschen, die sich der Länge nach auf dem Boden ausstrecken. Sie haben etwas Vertrauensvolles, vielleicht weil sie nichts zu verlieren haben.
Der Zug kommt pünktlich. Ein schönes Abteil, schnell bevölkert von einem jungen Australierpaar, Sam und Keila, und drei jungen Oestereichern. Reden, diskutieren, lachen. Wunderbar. Ich schlafe auf dem eigenartigen Bett schnell ein. Draussen rast knatternd und dröhnend Indien vorbei …
PS Song zum Thema: Led Zeppelin – Black Dog
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