Einmal mehr fährt der Zug ab, wie immer ruckelnd, zuckelnd, holpernd und stampfend, und nimmt mit einem stöhnenden letzten Aufbegehren endlich Tempo auf. Es scheint, als wäre dieses Abfahren das Letzte, was er aus eigenem Begehren tun würde, doch er kommt – widerwillig zwar – vorwärts, langsam und stetig, dem Süden zu, Nha Trang, dem acht bis zehn Stunden entfernten Ziel des Tages.
Von Hoi An nach Na Thrang
Eine lange Reise, die frühmorgens mit dem Bus nach Da Nang angefangen hat und nun endlich – nach einer guten Stunde Verspätung – richtig losgeht. Es ist anfangs noch recht kühl im Abteil, ich liege auf einem der beiden oberen Betten, und lese, den Chor dreier weiblicher Stimmen im Ohr, die sich viel zu erzählen haben.
Durchfallsgeschichten
Manchmal lege ich das Buch zur Seite, schliesse die Augen und während ich schläfrig zuhöre, werde ich zum Mitwisser von allerhand Erlebnissen und Erkenntnissen, von Tipps und Must-Do’s und Must-Go’s und einer ganzen Menge von never-do-this and never-do-that.
Die Beschreibung ihrer vor kurzem eingefangenen Diarrhöe, erlebt und erlitten von einer der drei Damen, entlockt den beiden anderen manches entsetzte OH und AH, während ich mich zurücklehne und an eine Episode erinnert werde, die ich lieber nicht erlebt hätte, wen wundert’s – in Indien …
Ja, so beginnen und enden alle Durchfallgeschichten, doch, wie sich später herausstellen wird, ist die Sache für unsere junge Australierin noch lange nicht vorbei …
The unlikely Pilgrimage of Harold Fry
Ich wende mich wieder meinem Buch zu, “The unlikely Pilgrimage of Harold Fry”. Ein alter Mann, pensioniert, gelangweilt, von seiner Frau entfremdet, erhält einen Brief von einer alten Bekannten, in dem sie sich – da schwer an Krebs erkrankt – von ihm verabschieden möchte. Er schreibt einen Antwortbrief, doch anstatt diesen wie beabsichtigt in den Briefkasten zu werfen, findet er sich schliesslich auf dem Weg vom tiefen Süden Englands bis nach Schottland. Doch es wird eine Wanderung in die vergrabenen Untiefen seiner Seele, und indem er geht, ohne Ausrüstung, ohne erforderliche Fitness, einen Fuss vor den anderen setzt, stellt er sich zum ersten Mal seinen Dämonen …
Eine traurig-schöne, herzberührende Geschichte.
Südwärts
Und während Harold Fry seinen Pilgerweg beginnt, rast der Zug nach Süden, vor dem Fenster gleiten die Wiesen und Felder und Wälder Vietnams vorbei, doch ich bin längst gefangen in der traurig-schönen, herzberührenden Geschichte von Harold und seinem unendlich langen und schmerzlichen Bittgang auf der Suche nach Vergebung …
Na Thrang
Das Hotel, obwohl von ausnehmend freundlichem Personal versorgt, passt in seiner Business-mässigen Perfektion zu seiner Umgebung. Nha Trang, DER ultimative Place-to-be, der berühmteste Badeort Vietnams. Ich finde ihn, man verzeihe mir die rüde Sprache, schlicht zum Kotzen. Hier möchte ich nicht mal begraben, geschweige denn gezwungen sein, auch nur einen einzigen Ferientag zu verbringen. Meine Intuition hat mich wieder einmal vor dem Schlimmsten bewahrt, denn pünktlich um Acht erwartet mich der Bus, der mich weiter nach Süden bringen soll.
Sleeping-Bus
Man bezeichnet diese seltsam ausgestatteten Gefährte als Sleeping-Busse, doch wie man in diesen engen Kästen, wo es einmal mehr auch für mich Kurzgeratenen unmöglich ist, die Beine auszustrecken, schlafen soll, bleibt ein Geheimnis. Nun denn, es geht weiter, abwechselnd in todesmutigem Schumacher/Vettel-Rennmodus und dann wieder ermüdend langsam wie Grossvater in seinem VW-Käfer.
Manchmal ein Stopp, wie schon so viele. Man wird in ein mehr oder weniger angenehmes Restaurant geführt, wo man schon business-like erwartet wird.
Der Vorhang öffnet sich
Soll mir aber gleich sein, und so döse ich dem Süden entgegen, der schläfrige Blick auf der vorbeihuschenden Landschaft, die vom gestrigen satten Grün der Reisfelder schrittweise in eine trockene, ausgedörrte Wüste übergeht. Manchmal öffnet sich für einen Moment der Blick auf das Meer, wie ein Vorhang, der kurz auf- und gleich wieder zugezogen wird. Doch dann – kurz vor dem Ziel Mui Ne – fällt die Landschaft gleichsam zur Seite, macht Platz für die blaue, endlos scheinende Weite, am Horizont in den grauen Himmel übergehend, in Ufernähe voll von unzähligen blau und grün gestrichenen Fischerbooten.
Kein unscheinbares Fischerdorf mehr
Und da sind wir also, in Mui Ne, bis vor einigen Jahren ein unscheinbares Fischerdorf, heute ein einige Kilometer langes Ferienkaff, mit endlos weissen Stränden, so wie es uns die Werbung weismachen will, mit zahlreichen Restaurants, die das kulinarische Herz erfreuen und die Kassen der Wirte füllen soll.
Dass die Wirklichkeit etwas anders aussieht, werde ich schon bald erfahren, doch zunächst geht es um den Bezug des Hotels, dem Sunrise Village, das seinem Namen hoffentlich Ehre machen wird. Ich bin nicht unzufrieden, es ist zur Abwechslung nicht nur geräumig und sauber und damit einem längeren Verweilen durchaus zugetan, sondern liegt nur ein paar Schritte vom Meer.
Oel und Dreck
Wie sagte ich eben – endlos weisse Sandstrände? Endlos schon, über das Weiss kann man sich allerdings streiten, denn das, was mein empörtes Schweizer-Auge als erstes erblickt, ist ein von Oel und Dreck schwarzgefärbter Strand, voll von Abfall, alten Fischernetzen, Kokosnussschalen, und weiss der Henker was alles sich sonst noch im Sand versteckt …
PS Song zum Thema: Cafe del Mar – Beyond the Sunset
Und hier geht die Reise weiter …