Wahrscheinlich ist der grösste Wunsch jedes Reisenden, irgendwo anzukommen, wo er nicht nur Sonne und Meer, sondern auch Freude und Glück und Wohlstand findet. Wenn er sowas allerdings in Indien erwartet, befindet er sich auf einem falschen Trip.

Es ist ja nicht so, dass wir diese extreme Armut zum ersten Mal sehen, doch hier in Delhi dringt sie unmittelbar mitten ins Herz und ins Gewissen. Auf dem Weg zum Connaught-Place geht man in seinen westlichen Klamotten und einem vergleichsweise vollen Portemonnaie an Kindern vorbei, die vielleicht noch nie genug zu essen hatten. Die noch nie in einem richtigen Haus gewohnt haben, keine Toilette kennen. Die in vielen Fällen krank sind und deren Eltern kein Geld für eine medizinische Behandlung haben.

Delhi – Himmel und Hölle zugleich

Nach den Millionenstädten in Pakistan kann uns eigentlich nicht mehr viel erschüttern, und doch ist Delhi ein anderes Kaliber. Keine Ahnung, wieviele Menschen hier wohnen oder besser leben, denn von wohnen im üblichen Sinn kann bei vielen keine Rede sein. Der Weg zum Stadtzentrum ist nicht allzu weit, und so durchquert man die verschiedenen Stufen von Himmel und Hölle.

Der Connaught-Place, das eigentliche Herz der Stadt, ist modern, gross, weit, man fühlt sich nicht in Indien. Die Läden, die im Kreis herum angesiedelt sind, bieten alle Versprechungen der Welt an. Wir setzen uns in ein Restaurant und beobachten das Leben der oberen Zehntausend, während wir an einem indischen Cola nippen.

Apropos indisches Cola – man muss wissen, dass die Importregeln der Landes sehr strikt sind. Konsequenterweise verlangten die Behörden vom Coca-Cola Unternehmen die Bekanntgabe der geheimen Zusammensetzung ihres Produktes, was dieses natürlich ablehnte. Und so produziert nun der indische Staat ein eigenes Cola oder zumindest etwas Ähnliches. So glaubt er zumindest, doch das Gesüff ist absolut ungeniessbar, es wird unser erster und letzter Versuch sein.

Es ist unser erster Besuch von Delhi, ein paar werden in den kommenden Jahren dazukommen. Doch ändern wird sich nicht viel, ausser dass der Smog noch schlimmer wurde, die Bevölkerungszahl drastisch zugenommen hat und die sichtbare Armut zwar teilweise an den Stadtrand gedrängt wurde.

Doch das Stadtzentrum mit seinem protzigen, zur Schau gestellten Pseudoreichtum steht in krassem Gegenteil zum Rest der Stadt. Ein paar Meter abseits beginnt das wahre Delhi. Dort, wo ganze Familien auf dem Gehsteig leben.

Nun versteht man, dass viele westliche Touristen angesichts dieser Bilder einen Kulturschock verspüren und möglichst schnell nach Hause wollen. Wir hingegen sind noch jung, ertragen sogar ein schlechtes Gewissen (was man sich alles einreden kann), doch viele Jahre später, als alter Mann, in Kathmandu, ist die dicke Haut verschwunden.

 

Ein Geschenk des (Hindu-)Himmels

Unsere Wünsche sind in der Zwischenzeit sehr bescheiden geworden: eine heisse Dusche, eine Nacht durchschlafen ohne Radau, eine Amexco-Filiale mit ganz vielen Briefen von zuhause.

Dazu braucht es in erster Linie einen brauchbaren Zeltplatz, also versuchen wir unser Glück ein zweites Mal. Und diesmal klappt es, wenn auch nur mit ein bisschen ganz unschweizerischer Frechheit, indem wir beim Einlass felsenfest behaupten, dass wir bereits einen festen Platz besitzen. Und zugegeben, auch bei diesem Ausflug in die Welt des Schwindelns und Behauptens fühlen wir uns wohler, als wir verdient hätten.

Eines ist sicher, der Platz ist ein Geschenk des Himmels. Er weist nicht nur – eine wirklich aussergewöhnliche Überraschung in Indien – zwar verdorrte, aber immerhin so etwas wie Wiesen auf, heisse (!) Duschen, und, das Allerwichtigste, man trifft alte Bekannte. Also another Day in Paradise.

Heisse Tage

Nicht ganz überraschend die Tatsache, dass es heiss ist. Der November neigt sich zwar dem Ende entgegen, zuhause haben Nebel und Dunkelheit und Kälte das Szepter übernommen, die hier ist Sommer, T-Shirt Wetter. Und da man Zeit im Überfluss hat, sitzt man an der Sonne, lässt die bleichen Körper bräunen und schwatzt mit links und mit rechts. Man kann es nach den Strapazen der letzten Wochen aushalten.

Dazwischen genehmigen wir uns eine Fahrt mit einem TukTuk, dem allgegenwärtigen Transportmittel in Indiens Hauptstadt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass man trotz Staus und dichtem Verkehr vorwärtskommt, wenn auch mit gewissen Risiken.

Und was weiter auffällt, sind die Taxis. Alle schwarz mit gelben Dach, sie heissen Ambassador und sind das Hauptverkehrsmittel. Lustigerweise sind sie viele Jahre später, bei meinem nächsten Besuch anno 1990, immer noch da, immer noch in mehr oder weniger desolatem Zustand, aber nicht totzukriegen.

 

Das Red Fort

Wie schon erwähnt, sind viele unserer Bilder entweder in einem schlechten Zustand oder verloren gegangen. So nehme ich halt Fotos aus späteren Reisen zur Hand, sie zeigen mehr oder weniger die gleichen Eindrücke.

 

Das Red Fort in Delhi zusammen mit dem noch berühmteren Taj Mahal in Agra stellen zwei der schönsten Bauten der Moghul Zeit dar. Sha Jahan, der bekannteste Moghul, hat auf jeden Fall begriffen, wie man sich Denkmäler für die Ewigkeit schafft. Die Geschichte um den Bau des Taj Mahal werde ich an anderer Stelle erzählen, sie berichtet von Trauer um die früh verstorbene Lieblingsfrau, von zu viel Geld (für eine Weile) und der üblichen Hybris grosskotziger Herrscher, die keine Grenzen mehr kennen.

 

Im Unterschied zum Taj dominiert beim Red Fort roter Sandstein, doch auch weisser Marmor ist gelegentlich zu erkennen. Innerhalb der Mauern glaubt man schnell, in einer eigenständigen Stadt zu sein und verliert den Überblick. Es ist nicht nur ein Erlebnis fürs Auge, es ist die Darstellung von Kunst, wie sie heute gar nicht mehr möglich ist. Ich habe irgendwo gelesen, dass allein der Bau des Taj Mahal das Budget eines mittelgrossen Landes weit überschreiten würde.

Und so schreiten wir andächtig und benommen durch die Wege innerhalb der Mauern, bleiben immer wieder stehen, kopfschüttelnd, ungläubig, irgendwie erschlagen von der Wucht dieses grossartigen Bauwerks.

Die Jama Masjid und Old Delhi

Ich zitiere aus damaligen Tagebuch Aufzeichnungen:

Im Gegensatz zum Red Fort bringt die Jama Masjid, die Freitagsmoschee, nicht viel Neues. Wir haben diese Art Moschee schon einige Male angetroffen.

Jama Masjid in Delhi (Von Muhammad Mahdi Karim – Eigenes Werk)

Die nahe Altstadt verschafft aber mehr von dem, was man von Indien erwartet. Verschlungene Gassen und Gässchen, bunte Bazare, eine betäubende Kakophonie von Geräuschen, ein Gemisch aus tausend Gerüchen – das pulsierende Leben.

Ein ungeheurer Haufen an Menschen, ein überdimensionierter Ameisenhaufen, wo sich alles ständig bewegt, ständig im Fluss ist, Leben in seinem Urzustand, wo Arm und Reich, Gut und Böse noch eins sind, wo die Unterschiede verblassen und gleichzeitig grell voneinander abstechen. Hier exsistiert noch keine strike Trennung nach Klassen oder Geld, der zerlumpte Bettler existiert neben dem pausbäckigen Reichen, und niemand denkt sich was dabei.

 

Passender Song von 1974:  Camel – Nimrodel

Und hier geht der Trip weiter … immer noch in Delhi

 

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