Kandahar

Das erste, was auffällt – Kandahar besitzt einen völlig anderen Charakter als Herat. Man könnte meinen, dass sich Städte in einem Land, auch wenn sie weit voneinander entfernt liegen, gleichen, aber das ist nicht so. Bern ist ja auch ganz anders als Zürich oder Basel.

Hier begegnet man vor allem finster und stolz blickenden Nomaden, die sich nicht um die Gäste aus fernen Ländern zu kümmern scheinen. Diese werden zur Kenntnis genommen und nicht umworben und bezirzt, wie das in Herat zum Alltag und zum Geschäft gehört. Sie sind ein notwendiges Übel, mit dem man sich abfinden muss.

Eine alte Stadt mit Charakter

Was die Stadt mit dem berühmten Kandahar-Skirennen zutun hat, erklärt Wikipedia wie folgt:

Das [Arlberg-Kandahar-Rennen] (AK) ist eine traditionsreiche Sportveranstaltung im alpinen Skisport. Namensgeber sind die beiden ursprünglichen Veranstalter des Rennens, der Ski-Club Arlberg in Österreich und der britische Kandahar Ski Club im schweizerischen Mürren. Letzterer trägt den Namen des englischen Heerführers Frederick Roberts, dem nach seiner Rückkehr aus Afghanistan der Titel Earl of Kandahar („Graf von Kandahar“) verliehen wurde.

Aha, also doch eine Beziehung zu Afghanistan, wenn auch nicht auf den ersten Blick erkennbar.

Wie auch immer, Kandahar hat eine lange kriegerische Geschichte, die sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Woher der Name stammt, ist umstritten, gewisse Details weisen auf muslimische Herkunft hin. Heute (2023) ist die Einwohnerzahl der drittgrössten Stadt des Landes (nach Kabul und Herat) auf eine halbe Million gestiegen. Die Situation nach der Wiedererlangung der Taliban-Herrschaft ist verständlicherweise unklar.

Gegründet wurde die Stadt von Alexander dem Grossen, eine seiner vielen Hinterlassenschaften auf dem Weg nach Indien. Wegen ihrer strategisch wichtigen Lage in Zentralasien war die Stadt häufiges Ziel von Eroberungen: So von den Arabern im 7. Jahrhundert, von den turkstämmigen Ghaznawiden im 10. Jahrhundert, von den Mongolen unter Dschingis Khan im 12. Jahrhundert und 1383 von Timur.

Wir befinden uns also auf geschichtlich relevantem Boden.

Granatäpfel und Rahmtafeln

Uns interessiert aber auch das kulinarische Angebot der Stadt – Liebe geht bekanntlich durch den Magen, auch wenn abseits erinnerungswürdige Orte locken. Das muss warten. Denn Kandahar ist vor allem bekannt für seine Granatäpfel. Nicht, dass wir noch keine gefunden haben, sie sind seit Tagen und Wochen im Angebot jedes vernünftigen Marktes.

Diese hier stellen aber eine Qualität dar, die offenbar unschlagbar ist. Sie sind röter, saftiger, süsser als alle bisher gegessenen, und obwohl sie uns nach alll der Zeit langsam aber sicher zum Hals heraushängen, greifen wir zu.

Und noch eine Überraschung: es gibt tatsächlich so etwas wie Rahmtafeln, die an einigen Stellen verkauft werden.

Rahmtafeln? In Afghanistan?

Die Welt ist manchmal tatsächlich voller Überraschungen. Unser Hunger nach Süssigkeiten, der seit Wochen kaum mehr gestillt werden konnte, weckt sämtliche auf Zucker konditionierte Geschmacksknospen im Mund. Man muss dazu die Augen schliessen und das zuckersüsse Ding ganz langsam und genussvoll auf der Zunge zergehen lassen.

Eigentlich verrückt – was bleibt nach all den Jahren an erinnerungswürdigen Details von Kandahar?

Die Rahmtafeln.

Ein teuflisch schneller Hund

Dann also auf zu den knapp 500 Kilometern, die noch bis Kabul abzufahren sind. Im Unterschied zur Strecke von Herat nach Kandahar wurde diese Strecke von den Amerikanern gebaut, so quasi in Konkurrenz zu den Russen. Für einmal ein Vorteil für das Land, wenn zwei sich streiten (was aber die Ausnahme ist, wie die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte zeigen wird).

Und tatsächlich, das russische Benzin stinkt  zwar zum Himmel, aber es leistet seine Dienste, der Motor läuft tadellos.

Immerhin ist die Wüste oder besser Halbwüsten noch bestenfalls eine Viertelwüste, fast wie in der Osttürkei, viel Steine und Sand, aber doch mit dem gelegentlichen Auftauchen von echter Natur in Form von allerlei Pflanzen.

Und dann, wie aus dem Nichts, ein Schatten auf der Strasse, schnell wie der Wind, entgegen kommend. Am Anfang kaum zu erkennen, und plötzlich, oh und ah, es ist ein Hund, ein Afghan, der wie ein Blitz näher kommt und scheinbar schwerelos an uns vorübergleitet. Man glaubt, in einer Zeitlupe zu sein, langsame fliessende Bewegungen der Muskeln, der Kopf gehoben, die Zunge im Wind.

Wohin ist er unterwegs? Auf dieser einsamen verlassenen Strasse? Niemand weiss es, man hofft, dass zumindest er ein Ziel vor den Augen hat.

Wahnsinn!

Von Kandahar nach Kabul

Ghazni mittendrin und abseits

Die damals kleine Stadt Ghazni auf dem Weg nach Kabul, nichts besonderes und doch einer Erinnerung würdig. Es gäbe so vieles zu sagen, so vieles zu sehen, doch am Ende ist es bloss ein Durchfahrtsort, man hastet durch, Kabul ruft, ist schon in Griffweite, da will man nicht verweilen.

Dabei hätte die Stadt soviel zu bieten.

Und dann endlich – Kabul

Eigentlich ist Afghanistans Hauptstadt Kabul eine vergleichsweise kleine Stadt inmitten unbewohnten Gebietes, doch die Smogglocke, die wie eine böse Wolke über der Stadt hängt, zeugt von Staub und Rauch und der bösen Ausdünstung zahlreicher Vehikel.

Kurz vor dem Ziel, Kabul liegt in einer Senke vor uns, halten wir an, um den sehr besonderen Augenblick zu feiern, was Beatrice und Ruedi zu einem euphorischen Tänzchen auf der Strasse veranlasst.

Das, was folgt, ist weniger feiernswert, geschweige denn ein Grund zum Tanzen. Wir verlieren uns in dem chaotischen Abendverkehr, der keine Regeln zu kennen scheint, schon bald aus den Augen.

Und so lernen wir die Stadt ziemlich schnell besser kennen, denn die Suche nach dem Hotel gestaltet sich, wie soll man sagen, genauso chaotisch wie der Verkehr und das Leben in dieser offenbar verrückten Stadt.

In der Zwischenzeit hat sich die Dunkelheit über die Stadt ergossen, es existieren keine Strassennamen, zumindest keine in unserer Schrift, und all die Menschen, die wir nach dem Jam-Hotel fragen, haben nicht die geringste Ahnung, wovon wir sprechen.

Und so bleibt schlussendlich die immer gleiche erfolgversprechende Lösung: sobald man jemanden findet, der das Hotel kennt, lädt man ihn ein mitzufahren und uns den Weg zu weisen. Natürlich gegen ein noch so gern bezahlten Obolus.

Und noch etwas zum Schluss: es ist kühl geworden (man erinnere sich an die Afghanmäntel unserer Freunde), und so bilden unsere warmen Schläfsäcke ein besonderes Erlebnis.

Song aus 1974: Steely Dan – Rikki don’t lose that Number

Und hier geht der Trip weiter … in Kabul

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